Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht oder bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthalt aus familiären Gründen. Nichtanwendbarkeit des § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 auf den sorgeberechtigten Elternteil eines freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers. Begleitung der Großeltern
Orientierungssatz
1. Die unterhaltsrechtliche Regelung des § 1570 Abs 1 BGB führt nicht dazu, dass alleinerziehende Ausländerinnen und Ausländer für die ersten drei Lebensjahre ihres Kindes von der Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ausgeschlossen sind bzw ein für die Anspruchsberechtigung nach dem SGB 2 ausreichendes Aufenthaltsrecht fingiert werden kann.
2. Aus § 11 Abs 14 FreizügG/EU 2004 iVm § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 und Art 18 Abs 1 AEUV lässt sich für den sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung seiner Großeltern nach § 3 Abs 1 S 1 FreizügG/EU 2004 freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers kein Aufenthaltsrecht ableiten.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin vom 18. November 2020 bis zum 31. Januar 2021 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.
Die 1999 geborene Klägerin ist kroatische Staatsangehörige und hält sich seit September 2017 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie lebte im hier streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit ihren berufstätigen Eltern, ebenfalls kroatische Staatsangehörige, zwei Brüdern und ihrem 2019 geborenen Sohn G1 in einer gemeinsamen Wohnung in M1.
Neben Kindergeld erhielt sie für ihren Sohn von dessen Vater, einem gambischen Staatsangehörigen, der über eine Aufenthaltsgestattung verfügt, Unterhalt in Höhe von monatlich 165 €. Bis Dezember 2020 bezog sie Elterngeld in Höhe von monatlich 300 €, außerdem bis November 2020 für sich selbst Kindergeld in Höhe von 204 € monatlich.
Die Eltern der Klägerin gaben bei deren erstmaliger Antragstellung unter dem 25. August 2019 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin lebe bei ihnen in der Wohnung und werde durch sie während der Schulausbildung unterstützt. Mit der Schwangerschaft hätten sie nichts zu tun. Die Unterstützung hätten sie jetzt beendet und zahlten der Klägerin keinen Unterhalt.
Seit August 2019 bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bescheid vom 29. August 2019). Auf ihren Weitergewährungsantrag vom 31. Juli 2020 gewährte der Beklagte ihr und ihrem Sohn mit Bescheid vom 13. Juli 2020 für die Monate August 2020 bis Oktober 2020 Leistungen in Höhe von monatlich insgesamt 286 €. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass sie ab dem 18. November 2022 mit der Vollendung ihres 21. Lebensjahres ihren Arbeitnehmerstatus nicht mehr von ihren Eltern ableite und aufgefordert, für die Weiterbewilligung ab dem 1. November 2020 einen gültigen Arbeitnehmerstatus vorzulegen.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 2020 gewährte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. November 2020 bis 17. November 2020 Leistungen in Höhe von 106,74 €.
Hiergegen legte die Klägerin am 5. November 2020 Widerspruch ein, mit dem sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes über den 17. November 2020 hinaus begehrte.
Am 10. Dezember 2020 stellte die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ( S 17 AS 3178/20 ER ). Sie trug vor, dass sie Mutter eines Kleinkindes sei, das ebenfalls die kroatische Staatsangehörigkeit besitze und mithin Unionsbürger sei. Der Sohn sei Enkel freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger und daher Familienangehöriger im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Da sie das alleinige Sorgerecht besitze, leite sich daraus ihr Aufenthaltsrecht ab. Aus diesem Grund sei sie auch weiterhin berechtigt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu beziehen. Da sie derzeit lediglich Kindergeld sowie Unterhaltszahlungen in Höhe von 165 € monatlich erhalte, sei ein Zuwarten im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar.
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 verpflichtete das SG den Beklagten, der Klägerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 10. Dezember 2020 bis zum 31. Juni 2021, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des noch ausstehenden Widerspruchsbescheides, zu gewähren. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) durch Beschluss vom 29. April 2021 zurück ( L 9 AS 483/21 ER-B ). Der Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit bis 30. Juni 2021 (vgl. hierzu zuletzt den Änderungsb...