Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Schutzimpfung für Auslandseinsatz. Dienstverrichtung. Impfschaden. Guillain-Barré-Syndrom. Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand. unklare Ätiologie. kein signifikant erhöhtes Risiko für ein nachfolgendes Guillain-Barré-Syndrom. deutlichere Wahrscheinlichkeit für ein spontanes Auftreten. zeitlicher Zusammenhang nicht entscheidend. Kann-Versorgung. keine fundierte wissenschaftliche Arbeitshypothese. Verdachtsmeldungen beim Paul-Ehrlich-Institut nicht ausreichend
Orientierungssatz
1. Impfungen gehen nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht mit einem signifikant erhöhten Risiko für ein nachfolgendes Guillain-Barré-Syndrom (GBS) einher.
2. Die Kausalität zwischen Impfung und Erkrankung ist zu verneinen, wenn ein spontanes Auftreten der Erkrankung deutlich wahrscheinlicher ist wie ein solches als Folge der Impfung.
3. Der Grad der Wahrscheinlichkeit der Kausalität richtet sich nach dem Evidenzgrad von Beobachtungen und Studien (hier im Hinblick auf eine doppelt so hohe Hintergrundmorbidität bei der Allgemeinbevölkerung ohne Impfung).
4. Weil ein GBS zufällig auftreten kann und nicht mit einer Infektion einhergehen muss, vermag ein zeitlicher Zusammenhang allein die Kausalität nicht zu begründen.
5. Da bis heute die Ätiologie des GBS wissenschaftlich ungeklärt ist, kann ein Ursachenzusammenhang zwischen der Entstehung dieser Erkrankung oder deren Verschlimmerung und einer Wehrdienstbeschädigung nicht wahrscheinlich gemacht werden.
6. Im Hinblick auf eine Kann-Versorgung hat keine einzige fundierte wissenschaftliche Arbeitshypothese den Zusammenhang zwischen Impfung und einer Erkrankung mit GBS begründen können und auch die beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gemeldeten Verdachtsfälle sind nicht wissenschaftlich auf die Impfung zurückgeführt worden.
7. Eine dienstlich angeordnete Impfung eines Soldaten oder einer Soldatin zur Vorbereitung auf einen Auslandseinsatz ist rechtlich als Dienstverrichtung im Sinne des § 81 Abs 1 SVG zu qualifizieren (vgl LSG Essen vom 26.2.2021 - L 13 VS 61/20 und LSG Darmstadt vom 17.2.2005 - L 8/5 VS 27/02).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. November 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS) als Folge einer Wehrdienstbeschädigung und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund einer Vierfach-Impfung im Rahmen der Vorbereitung auf einen Auslandseinsatz.
Er ist 1974 geboren und hat nach dem Abschluss der Hauptschule, der Handelsschule und einer Wirtschaftslehre, unterbrochen vom 12monatigen Wehrdienst, bei der Post gearbeitet. Seit 1995 war er Zeit- und seit 2003 Berufssoldat. Seit Juli 2019 ist er nicht mehr im Dienst. Er lebt seit 2010 in einer eigenen Wohnung in B2, ist nicht verheiratet und kinderlos. Seine Lebensgefährtin lebt mit einer kleinen Tochter in der Nähe von Ulm (Anamnese B).
Zur Herstellung des Impfstatus für eine Auslandsverwendung wurde der Kläger am 30. Mai 2012 mit dem Impfstoff Repevax (Vierfachimpfung gegen Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung und Wundstarrkrampf) geimpft.
Am 3. Juli 2012 erstattete das Bundeswehrkrankenhaus Ulm (BWK) die ärztliche Meldung über eine mögliche Wehrdienstbeschädigung und gab zum Sachverhalt an, dass ein GBS (entzündliche Veränderungen des peripheren Nervensystems besonders der aus dem Rückenmark hervorgehenden Nervenwurzeln (Polyradikulitis) und der dazugehörigen Nervenabschnitte) bestanden habe, das im Anschluss an die Herstellung des Impfstatus für eine Auslandsverwendung aufgetreten sei.
Die Beklagte zog Behandlungsunterlagen des Klägers sowie Kopien der G-Karten des Sanitätszentrums bei, aus denen sich unter anderem die verabreichten Schutzimpfungen ergaben.
Im Bericht der Kliniken des Landkreises S über die Vorstellung am 12. Juni 2012 wurden nicht spezifische Sensibilitätsstörungen der Fingerkuppen beidseits und der Zehen links beschrieben. In der Computertomographie (CT) habe sich keine Hirnischämie und keine Hirnblutung gezeigt, sodass ein Schlaganfall habe ausgeschlossen werden können.
Die Weiterbehandlung erfolgte im BWK. Im Entlassungsbericht über die stationäre Behandlung vom 12. Juni bis 5. Juli 2012 wurde ausgeführt, dass der Kläger bei diffusen Kribbelparästhesien und heftigen Kopfschmerzen sowie einer progredienten Atemnot zur weiteren Abklärung und Diagnostik stationär aufgenommen worden sei. Die zuständige Truppenärztin habe telefonisch mitgeteilt, dass er im April 2012 an einer viralen Meningitis erkrankt gewesen sei. In der Notaufnahme habe er eine Kribbelsymptomatik beschrieben und dass er sich seit geraumer Zeit schwach fühle. Das Kribbeln un...