Entscheidungsstichwort (Thema)

Bundeserziehungsgeldanspruch. ausländischer Ehegatte eines türkischen Staatsangehörigen. Aufenthaltstitel. Koordinationsrecht. Assoziationsrecht. Diskriminierungsverbot

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das in Art 3 Abs 1 EWGAssRBes 3/80 enthaltene Diskriminierungsverbot entfaltet unmittelbare Rechtswirkung. Hierauf kann sich auch der ausländische Ehegatte eines türkischen Staatsangehörigen berufen, der dem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des EWGAssRBes 3/80 unterfällt.

2. Das Diskriminierungsverbot verbietet es, die Gewährung von Bundeserziehungsgeld an türkische Arbeitnehmer oder deren Familienangehörige von zusätzlichen oder strengeren Voraussetzungen abhängig zu machen, als sie für deutsche Staatsangehörige gelten. Türkische Arbeitnehmer oder deren Familienangehörige können vielmehr - unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status - Bundeserziehungsgeld unter denselben Voraussetzungen wie deutsche Staatsangehörige beanspruchen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.08.2001; Aktenzeichen B 7 AL 28/01 B)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Bundeserziehungsgeld  (Erzg) für die Zeit vom 01.03. bis zum 19.11.1997.

Die 1976 geborene Klägerin besitzt die rumänische Staatsangehörigkeit. Sie ist  die Mutter der am 03.02.1997 geborenen G. S.. Am 27.02.1997 stellte sie bei  der Beklagten den Antrag, ihr für das erste Lebensjahr ihrer Tochter Erzg zu  gewähren. Dabei legte sie neben Einkommensnachweisen ihres Ehemanns, der die  türkische Staatsangehörigkeit besitzt, eine Bescheinigung der Stadt H. -  Einwohneramt, Ausländerbehörde - vom 14.02.1997 vor, derzufolge sie eine  Aufenthaltsgenehmigung beantragt habe, weshalb ihr Aufenthalt im Bundesgebiet  bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gelte. Auf Anfrage der  Beklagten teilte die Klägerin ergänzend mit, die Ausstellung der  Aufenthaltserlaubnis könne bis zu 1 1/2 Jahren dauern, da sie die türkische  Staatsbürgerschaft erst beantragt habe. Die Ausländerbehörde der Stadt H.  bestätigte auf telefonische Nachfrage der Beklagten, die Klägerin sei  lediglich im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Durch Bescheid vom 02.04.1997  lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei nicht  im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung; die  Aufenthaltsgestattung begründe keinen Anspruch auf Erzg.

Nachdem die Klägerin am 20.11.1997 eine zunächst bis zum 10.04.1999 befristete  Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte, nahm die Beklagte den Bescheid vom  02.04.1997 zurück und gewährte der Klägerin Erzg ab dem 20.11.1997 bis zum  Ablauf des 12. Lebensmonats des Kindes (Bescheid vom 03.12.1997).  Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin im  wesentlichen vor, sie habe nach ihrer Heirat einen türkischen Reisepaß  beantragt, bislang jedoch noch nicht erhalten. Außerdem habe sie beim  rumänischen Konsulat einen Paß beantragt und diesen auch bekommen. Es könne  nicht zu ihren Lasten gehen, wenn die Behörden trotz Nachfragen sehr langsam  arbeiteten. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Die Voraussetzung für  die Gewährung von Erzg erfülle nur, wer formal im Besitz einer  Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung sei. Die  Aufenthaltserlaubnis wirke nicht vor den Tag der Ausstellung zurück. Dem  Besitz der Aufenthaltserlaubnis komme Tatbestandswirkung zu. Eine  Aufenthaltsgestattung stehe einer Aufenthaltserlaubnis oder  Aufenthaltsberechtigung nicht gleich. Eine Aufenthaltserlaubnis besitze die  Klägerin erst seit dem 20.11.1997. Der geltend gemachte Anspruch stehe auch  nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu, da sich die  Beklagte eine eventuell verzögerte Entscheidung der Ausländerbehörde nicht  zurechnen lassen müsse (Widerspruchsbescheid vom 30.06.1998).

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG). Zur  Begründung trug sie im wesentlichen vor, ihr Ehemann sei im Besitz einer  unbefristeten Aufenthaltserlaubnis; er sei Arbeitnehmer in der Bundesrepublik  Deutschland und verdiene genügend Geld, um eine Familie zu ernähren. Mithin  seien bei ihm die Voraussetzungen eines jederzeitigen Ehegattennachzugs (§ 18  des Ausländergesetzes - AuslG -) erfüllt. Da sie - die Klägerin - bereits zur  Zeit der Antragstellung sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer  Aufenthaltserlaubnis erfüllt habe, finde § 1 Abs. 1 des  Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) keine Anwendung, vielmehr bestehe der  Anspruch auf Erzg nach Maßgabe der EWG-Verordnung 1408/71; aufgrund der  Vereinbarung zwischen der EWG und der Türkei entsprechend dem  Assoziationsratsbeschluß (ARB) Nr. 1/80 unterfalle sie dem persönlichen  Geltungsbereich der genannten Verordnung. Nach Art. 3 sei sie als  Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland zu behandeln.

Die Beklagte trat dem Klagebegehren mit der Begründung entgegen, auch das  Assoziationsratsabkommen zwischen der EWG und der Türkei i.V.m. dem ARB Nr.  3/80 lasse hier einen Anspruc...

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