Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust einer Anwartschaft als eine besondere Härte iS des § 197 Abs 3 SGB 6. höhere Rentenleistungen durch Beitragsnachentrichtung. Hinderung an der rechtzeitigen Beitragszahlung ohne Verschulden
Leitsatz (amtlich)
1. Eine besondere Härte wegen des Verlustes einer Anwartschaft iS des § 197 Abs 3 SGB VI ist zu verneinen, wenn eine Anwartschaft nie bestand, weil zu keinem Zeitpunkt die Wartezeit für die begehrte Rente erfüllt war.
2. Eine besondere Härte iS des § 197 Abs 3 SGB VI liegt auch nicht darin, dass durch die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen ein Anspruch auf höhere Rentenleistungen bestünde.
3. Ein Versicherter war an der rechtzeitigen Beitragszahlung auch dann nicht ohne Verschulden gehindert, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem freiwillige Beiträge hätten rechtzeitig entrichtet werden können, nicht absehbar war, dass durch ihre Entrichtung die Wartezeit für die Jahre später eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte erfüllt worden wäre.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.05.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger berechtigt ist, freiwillige Beiträge für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 31.10.2007 nachzuentrichten.
Der am 1952 geborene Kläger entrichtete nach seiner Schulausbildung ohne Unterbrechung von September 1970 bis Oktober 2006 und wiederum von November 2007 bis August 2015 Pflichtbeiträge (zuletzt ab November 2012 im Rahmen von Altersteilzeitarbeit), mithin für insgesamt 44 Jahre (= 528 Kalendermonate). Die Zeit der Beitragslücke von November 2006 bis Oktober 2007 (ein Jahr) ist im Versicherungsverlauf als „Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug“ ausgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Versicherungsverlauf Bl. 35 LSG-Akte Bezug genommen.
Neben der Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 36 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI), auf die bei Erfüllung einer Wartezeit von 35 Jahren ab Vollendung des 67. Lebensjahres ein Anspruch besteht (für vor 1964 geborene gemäß § 236 SGB VI bereits nach Vollendung des 65. Lebensjahres) und die nach Vollendung des 63. Lebensjahres vorzeitig in Anspruch genommen werden kann, wurde mit Wirkung zum 01.01.2012 die Altersrente für besonders langjährige Versicherte (§ 38 SGB VI) eingeführt, auf die bei Erfüllung einer Wartezeit von 45 Jahren ab Vollendung des 65. Lebensjahres ein Anspruch besteht. Mit Einführung des § 236b SGB VI zum 01.07.2014 haben Versicherte mit 45 Beitragsjahren dabei die Möglichkeit erhalten, abweichend von den §§ 38, 236 SGB VI diese Rente ab dem Alter von 63 Jahren abschlagsfrei in Anspruch zu nehmen. Entsprechend regelt Abs. 1 der Vorschrift, dass Versicherte, die vor dem 01.01.1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte haben, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben. Nach Abs. 2 der Regelung haben Versicherte, die vor dem 01.01.1953 geboren sind, Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres und für die nach dem 31.12.1952 geborenen Versicherten wird die Altersgrenze stufenweise auf das Eintrittsalter 65 angehoben, was mit dem Geburtsjahrgang 1964 abgeschlossen sein wird.
Am 29.04.2015 sprach der Kläger in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in S. vor und beantragte die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 01.09.2015. Er vertrat die Auffassung, die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt zu haben, weil auf die erforderliche Wartezeit nicht nur die zurückgelegten 44 Jahre Beitragszeiten, sondern auch die Zeit der „Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug“ anzurechnen sei. Er habe seinerzeit lediglich auf Grund einer ihm gewährten Abfindung kein Arbeitslosengeld bezogen. Er sei diesbezüglich von der Agentur für Arbeit seinerzeit zu schlecht beraten worden. Er sei jetzt jedoch bereit, freiwillige Beiträge zu zahlen. Gleichzeitig beantragte er die Zahlung von freiwilligen Beiträgen für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 31.10.2007.
Mit Bescheid vom 05.06.2015 und Widerspruchsbescheid vom 10.07.2015 lehnte die Beklagte diesen Antrag wegen Versäumung der Zahlungsfrist ab. Bei einer Antragsstellung bis 31.03. könnten Beiträge auch noch für das Vorjahr gezahlt werden. Die Antragstellung zur Zahlung freiwilliger Beiträge hätte daher bis 31.03.2007 erfolgen müssen. Ein Härtefall im Sinne des § 197 Abs. 3 und 4 SGB VI liege nicht vor, da keine Schuldlosigkeit an der rechtzeitigen Beitragszahlung vorliege. Der Kläger habe die zumutbare Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei nicht feststellbar, da ein Beratungsmangel bzw. eine fehlerhafte Beratung nicht nachgewiesen sei. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger Auskünfte zur freiwilligen Beitragsentrichtung eingeholt habe, eine individuelle Beratu...