Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. Kostenanspruch der Werkstatt für behinderte Menschen gegen die Bundesagentur für Arbeit. Eingangs- und Berufsbildungsbereich. Höhe von Vergütungssätzen. kein Rechtsanspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages mit bestimmter Vergütungsvereinbarung. Verhandlungssache nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. gerichtliche Überprüfung. keine Entgeltbestimmung. keine Anwendung des zweistufigen Prüfungsschema wie bei der Pflege- und Krankenversicherung. Rechtskontrolle über die Wahrung grundrechtlicher Grenzen des Verhandlungsspielraumes
Leitsatz (amtlich)
1. Zugunsten eines Trägers einer Werkstatt für behinderte Menschen greift keine gesetzliche Rechtsgrundlage ein, die die Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträger verpflichten würde, mit ihm als Leistungserbringer eine bestimmte vertragliche Vereinbarung mit der von ihm geforderten Höhe der Vergütungen für die Bereiche Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich zu treffen.
2. Er hat auch weder einen Anspruch auf Ersetzung der bisher vereinbarten Vergütungen nach billigem Ermessen des Gerichts noch einen Anspruch auf Verurteilung der Behörde zur Neuausübung ihres Abschlussermessens über neue Kostensatzvereinbarungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
3. Insbesondere ist es nicht geboten, die vom Bundessozialgericht entwickelte Rechtsprechung zur Ermittlung der Vergütung stationärer oder ambulanter Pflegeleistungen, häuslicher Krankenpflegeleistungen sowie ambulanter Krankenhausleistungen durch ein zweistufiges Verfahren (nachvollziehbare Kostenkalkulation und externer Vergleich) auf den Abschluss von Vergütungsverträgen in den Bereichen Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich zu übertragen.
4. Vielmehr findet lediglich eine Rechtskontrolle statt, ob der Leistungsträger die Grenzen des ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Verhandlungsspielraums missbraucht und dem Leistungserbringer Konditionen aufgezwungen hat, die mit seiner Stellung als öffentlich-rechtlich gebundener Träger unvereinbar sind (Anschluss an BSG vom 20.11.2008 - B 3 KR 25/07 R = SozR 4-2500 § 133 Nr 3, RdNr 34; BSG vom 17.2.2022 - B 3 KR 13/20 R = SozR 4-2500 § 133 Nr 7, RdNr 19).
5. Die vom Leistungsträger angebotene Vergütung ist insoweit sowohl am Maßstab der Art 12 Abs 1 sowie Art 3 Abs 1 GG als auch daraufhin zu überprüfen, ob ein Verstoß gegen § 21 Abs 1 Nr 2 SGB IX aF beziehungsweise § 38 Abs 1 Nr 2, Abs 2 SGB IX nF stattgefunden hat.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 10.09.2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung der Leistungen des Klägers, einem Träger einer Werkstatt für behinderte Menschen, in den Bereichen Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich für die Zeit vom 01.01.2016 bis zum 31.12.2018 streitig.
Anliegen des im Jahr 1961 gegründeten Klägers ist die Unterstützung geistig behinderter Menschen in allen Lebensphasen. In der Werkstatt für behinderte Menschen mit den Standorten in H, S, H1 und O erhalten Menschen mit Behinderung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Werkstatt für behinderte Menschen gliedert sich in die Bereiche Eingangsverfahren, Berufsbildungsbereich und Arbeitsbereich. Zur Erbringung dieser Leistungen beschäftigt der Kläger Mitarbeiter/innen, auf deren Arbeitsentgelte aufgrund des mit der Gewerkschaft verdi abgeschlossenen Haustarifvertrages der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes Anwendung findet. Zu Beginn der Leistungen steht das dreimonatige Eingangsverfahren, das der Feststellung dient, ob die Werkstatt für behinderte Menschen die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben ist und welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den behinderten Menschen in Betracht kommen. Ist die Werkstatt für den behinderten Menschen geeignet, so folgen auf das Eingangsverfahren in der Regel Leistungen des Berufsbildungsbereichs, um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit des behinderten Menschen so weit wie möglich zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen. Leistungen im Berufsbildungsbereich werden in der Regel über zwei Jahre erbracht. In der Werkstatt für behinderte Menschen des Klägers sind die Bereiche Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich organisatorisch abgegrenzte Bereiche an den Standorten H und H1. Kommt eine Berufsvorbereitung, Berufsausbildung oder Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht, so folgt im Anschluss an die Leistungen im Berufsbildungsbereich ein Wechsel in den Arbeitsbereich. Kostenträger sind für das Eingangsverfahren sowie den Berufsbildungsbereich meist die Beklagte und für den Arbeitsbereich der zuständige Sozialhilfeträger, sofern keine anderweitige vorrangige Zuständigkeit eines ande...