Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Versagung wegen Verletzung von Mitwirkungs- bzw Auskunftspflichten. Ermessensausübung. eheähnliche Gemeinschaft. Bedarfsgemeinschaft. sozialgerichtliches Verfahren. Streitgenossenschaft. notwendige Beiladung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erfüllen weder der Hilfebedürftige noch sein mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebender Partner ihre Mitwirkungspflicht, kann die Leistung nach § 66 Abs 1 SGB 1 versagt werden. Dabei muss sich der Hilfebedürftige die mangelnde Mitwirkung seines Partners (hier: fehlende Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse) aufgrund der Regelung in § 9 Abs 2 S 1 SGB 2 zurechnen lassen.

2. Das Gesetz räumt zwar dem Leistungsträger in § 66 Abs 1 SGB 1 Ermessen ein. Gegenstand dieser Ermessensentscheidung ist aber nicht die Frage, ob überhaupt von der Möglichkeit der Versagung Gebrauch gemacht wird (entgegen, LSG Stuttgart vom 19.7.2007 - L 7 AS 1703/06). Denn soweit die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung nicht nachgewiesen sind, ergibt sich auch aus § 66 Abs 1 SGB 1 nicht die Befugnis, die Leistung gleichwohl zu gewähren. Der Leistungsträger muss vielmehr nur darüber befinden, ob und in welchem Umfang der Sachverhalt trotz Verletzung der Mitwirkungspflicht weiter aufgeklärt werden kann und soll.

3. Der Grundsicherungsträger ist nicht verpflichtet, auf der Grundlage von § 60 Abs 4 SGB 2 ein Auskunftsverlangen an den Partner des Hilfebedürftigen zu richten, wenn sowohl er als auch sein Partner das Vorliegen einer Einstehensgemeinschaft bestreiten, eine solche aber tatsächlich vorliegt. In einem solchen Fall ist der Grundsicherungsträger berechtigt, Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts zu versagen, wenn der Partner des Hilfebedürftigen nicht bereit ist, Fragen nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu beantworten.

 

Orientierungssatz

1. Mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft bilden, wenn sie gemeinsam klagen, eine gem § 74 SGG iVm §§ 59, 60 ZPO zulässige Streitgenossenschaft (vgl LSG Stuttgart vom 17.3.2006 - L 8 AS 4314/05 = Breith 2006, 879).

2. Für die Notwendigkeit einer Beiladung iS des § 75 Abs 2 SGG genügt es nicht, wenn der Dritte, dessen Beiladung in Betracht kommt, zwar mit dem Hilfebedürftigen eine Bedarfsgemeinschaft bildet, selber jedoch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 hat (hier: keine Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB 2 gem § 37 Abs 1 SGB 2).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Juni 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin in der Zeit vom 25.10.2005 bis zum 08.10.2007 Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hatte.

Die 1950 geborene, geschiedene Klägerin wohnte vom 01.10.1996 bis zum 27.10.2007 zusammen mit H. B. (B.) in einer 80 m 2 großen Mietwohnung in I.. Die Wohnung bestand aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer, einem Esszimmer, einem weiteren Zimmer auf einer über eine Treppe erreichbaren Empore sowie einer Küche und einem Badezimmer. Den Mietvertrag vom 19.07.1996 unterzeichneten sowohl die Klägerin als auch B. Für die Wohnung war zuletzt eine Kaltmiete von 631,12 € zuzüglich Nebenkosten von 102,26 € zu entrichten. Bis zum 25.11.2005 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld. Anschließend erhielt sie von ihrem geschiedenen Ehemann monatlich 179,00 € Unterhalt. Außerdem war sie in der Zeit von März 2006 bis Ende Januar 2007 bei ihrem Sohn als Haushaltshilfe angestellt und erhielt für diese Tätigkeit monatlich 165,00 €. Am 02.01.2007 nahm sie eine Halbtagstelle als Bürokauffrau an und seit 08.10.2007 arbeitet sie wieder ganztags. B. arbeitete zunächst in F. und ab Juni 2006 als Fahrer für ein Ministerium in S..

Am 24.10.2005 stellte die Klägerin einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Sie teilte zwar mit, dass sie mit B. zusammen wohnt, bezeichnete sich aber als allein stehend, da sie und B. keine eheähnliche Gemeinschaft bildeten.

Mit Schreiben vom 16.11.2005 forderte die Beklagte u.a. Nachweise über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von B. von der Klägerin an und führte aus, sollten diese Unterlagen nicht bis zum 10.12.2005 vorgelegt werden, würden die beantragten Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagt werden. Die Klägerin lehnte die Vorlage der angeforderten Nachweise ab, da sie mit B. lediglich in einer Wohngemeinschaft lebe. Einer weiteren Aufforderung zur Vorlage von Einkommensnachweisen des B. im Schreiben vom 16.12.2005 (mit Fristsetzung bis zum 09.01.2006 und Androhung, die Leistung zu versagen) kam die Klägerin nicht nach.

Daraufhin führte die Beklagte am 04.01.2006 einen Hausbesuch durch. Nach dem Außendienstbericht sei die Klägerin nach zwei vergeblichen Versuchen am 04.01.2006 gegen 14.10 Uhr in ihre...

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