Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Nachteilsausgleich aG. außergewöhnliche Gehbehinderung. Gehstrecke. drohende Leidensverschlimmerung
Orientierungssatz
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, der der erkennende Senat folgt, liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung vor, wenn die Möglichkeit der Fortbewegung in einem hohen Maße eingeschränkt ist. Für eine Gleichstellung mit dem in der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs 1 S 1 Nr 11 StVO genannten Personenkreis kommt es nicht entscheidend auf die vergleichbare allgemeine Schwere der Leiden an, sondern allein darauf, daß die Auswirkungen funktionell gleich zu achten sind. Der Leidenszustand muß also ebenfalls wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (vgl BSG vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 = SozR 3-3870 § 4 Nr 11; BSG vom 17.12.1997 - 9 RVs 16/96 = SozR 3-3870 § 4 Nr 22; BSG vom 11.3.1998 - B 9 SB 1/97 R = SozR 3-3870 § 4 Nr 23 = BSGE 82, 37; BSG vom 8.5.1981 - 9 RVs 5/80 = SozR 3870 § 3 Nr 11; BSG vom 6.11.1985 - 9a RVs 7/83 = SozR 3870 § 3 Nr 18; BSG vom 3.2.1988 - 9/9a RVs 19/86 = SozR 3870 § 3 Nr 28; BSG vom 12.2.1997 - 9 RVs 11/95). Die Fähigkeit zu Gehen muß mit anderen Worten unter ebenso großer Anstrengung oder ebenso nur noch mit fremder Hilfe möglich sein, wie dies bei dem beispielhaft angeführten Personenkreis der Fall ist.
2. Die Parkvergünstigung, die von dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer abweicht (vgl BSG vom 29.1.1992 - 9a RVs 4/90 = Behindertenrecht 1992, 91), ist eng zu verstehen, denn jede Ausweitung des Kreises der Berechtigten würde sich nachteilig auf den zu schützenden Personenkreis auswirken, weil innerstädtische Parkflächen nicht beliebig vermehrt werden können (vgl BSG vom 22.4.1998 - B 9 SB 7/97 R; BSG vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 = SozR 3-3870 § 4 Nr 11; BSG vom 17.12.1997 - 9 RVs 16/96 = SozR 3-3870 § 4 Nr 22; BSG vom 11.3.1998 - B 9 SB 1/97 R = SozR 3-3870 § 4 Nr 23 = BSGE 82, 37). Darüber hinaus muß im Interesse aller Verkehrsteilnehmer möglichst an deren Gleichbehandlung festgehalten werden (vgl BSG vom 8.5.1981 - 9 RVs 5/80 = SozR 3870 § 3 Nr 11; BSG vom 6.11.1985 - 9a RVs 7/83 = SozR 3870 § 3 Nr 18; BSG vom 3.2.1988 - 9/9a RVs 19/86 = SozR 3870 § 3 Nr 28). Aus dem so begründeten Gebot sollen Sonderparkplätze in der Nähe von Behörden und Kliniken und die Parksonderrechte vor Wohnungen und der Arbeitsstätte denjenigen Schwerbehinderten vorbehalten bleiben, denen nur noch Wegstrecken zumutbar sind die von diesen Sonderparkplätzen aus üblicherweise bis zum Erreichen des Eingangs des Gebäudes zurückzulegen sind. Diese Wegstrecken über Straßen und Gehwege in die Eingangsbereiche der genannten Gebäude hinein liegen regelmäßig unter 100 m.
3. In besonders gelagerten Einzelfällen kann bereits die akute Gefahr einer erheblichen Verschlimmerung eines progredienten Leidens für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ausreichen, auch wenn die funktionelle Einschränkung des Gehvermögens noch nicht derjenigen der in den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannten Personen gleichsteht. Dies kann insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn der durch das Merkzeichen auszugleichende Nachteil bereits unmittelbar droht und sein Eintritt nur durch ein entsprechendes Verhalten des Schwerbehinderten zeitlich hinausgezögert werden kann. Die durch den Nachteilsausgleich gebotene Erleichterung fällt mithin dann prophylaktisch ins Gewicht, wenn der Schwerbehinderte aus medizinischen Gründen zur Vermeidung einer weiteren alsbald eintretenden erheblichen Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes das Gehen in allen Lebensbereichen soweit wie möglich einschränken muß; hiervon ist allerdings erst dann auszugehen, wenn medizinisch feststeht, daß er zur Vermeidung überflüssiger Gehstrecken regelmäßig einen Rollstuhl benutzen soll (vgl BSG vom 11.3.1998 - B 9 SB 1/97 R = SozR 3-3870 § 4 Nr 23 = BSGE 82, 37).
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs „aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) erfüllt.
Bei dem 1935 geborenen Kläger hatte das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) - zuletzt -mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 seit dem 07.07.1997 als Behinderung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) anerkannt:
„Unfallfolgen am linken Bein, Bluthochdruck, Stoffwechselstörungen, Herzrhythmusstörungen, coronare Herzkrankheit, Sehstörungen am linken Auge";
außerdem hatte es den Nachteilsausgleich „G" (erhebliche Gehbehinderung) zuerkannt; die Feststellung des Nachteilsausgleichs „aG" lehnte es ab (Bescheid vom 09.10.1997). Dem zugrunde lagen u.a. der Arztbrief der Orthopädischen Klinik der St. V. Krankenhäuser K. vom Juni 1997 sowie eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K., der die Unfallfolgen am linken Bein mit ei...