Orientierungssatz

1. Die Rentenversicherungspflicht der Selbstständigen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein selbstständiger Vermögensberater im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist und ihm Mitarbeiter zugeordnet sind, die ebenfalls als selbstständige Vermögensberater fungieren.

2. Die Regelung des § 2 S 1 Nr 9 SGB 6 verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen EU-Recht. Insbesondere stellt sie keine Beschränkung der freien Berufswahl und keine Inländerdiskriminierung dar.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. April 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger in seiner seit 01.01.2001 ausgeübten selbstständigen Tätigkeit als Vermögensberater gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung ist.

Der ... 1959 geborene Kläger war, unterbrochen vom Grundwehrdienst/Zivildienst, vom 01.08.1978 bis 31.12.2000 bei der Gemeinde B. tätig, zuletzt als Gemeindeamtsinspektor. Nach seinem Ausscheiden aus dieser Beschäftigung wurde eine Nachversicherung für diese Zeit gemäß § 8 Abs. 2 SGB VI durchgeführt.

Seit dem 21.12.1999 ist der Kläger in einer Nebentätigkeit und seit dem 01.01.2001 hauptberuflich für die "Deutsche Vermögensberatung Aktiengesellschaft DVAG" als Vermögensberater tätig. Seine Tätigkeit besteht ausweislich der Angaben in der Gewerbeanmeldung vom 30.01.2002 in der Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen, Vermittlung des Abschlusses und Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss von Verträgen über Darlehen, den Erwerb von Anteilsscheinen einer Kapitalanlagegesellschaft und ausländischen Investmentanteilen.

Am 07.03.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten formlos die "Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Existenzgründer gemäß § 6 Abs. 1 a SGB VI". Am 10.05.2002 stellte der Kläger den förmlichen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige mit einem Auftraggeber im Sinne einer befristeten Befreiung für Existenzgründer.

Mit Bescheid vom 31.05.2002 befreite ihn die Beklagte für den Zeitraum vom 07.03.2002 bis 01.01.2004 von der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. Die Befreiung von der Versicherungspflicht erfolge, da es sich bei der Aufnahme der jetzigen Tätigkeit um die erste Existenzgründung im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1 a Satz 1 Nr. 1 SGB VI handle. Da der Befreiungsantrag erst am 07.03.2002 gestellt worden sei, beginne die Befreiung mit diesem Tag. Sie ende spätestens mit dem Ablauf des dritten Jahres nach dem Tag der Aufnahme der Tätigkeit. Die Befreiung sei daher längstens bis zum 01.01.2004 möglich. Nach dem Ende der Befreiung trete die Versicherungspflicht als Selbstständiger mit einem Auftraggeber wieder ein.

Hiergegen legte der Kläger am 27.06.2002 Widerspruch ein mit der Begründung, er sei nicht nur für einen, sondern für mehrere Auftraggeber tätig und deshalb nicht versicherungspflichtig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 6 Abs. 4 SGB VI wirke die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt werde, sonst vom Eingang des Antrags an. Die Voraussetzungen für die Befreiung nach § 6 Abs. 1 a SGB VI hätten am 01.01.2001 mit der Aufnahme der selbstständigen, der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI unterliegenden Tätigkeit vorgelegen. Der Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht sei erst am 07.03.2002 und damit nicht innerhalb der Dreimonatsfrist gestellt worden. Die Befreiung wirke deshalb erst ab dem Datum der Antragstellung. Auch eine Befreiung über den 01.01.2004 hinaus könne nach § 6 Abs. 1 a SGB VI nicht ausgesprochen werden.

Gegen den am 30.08.2002 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 30.09.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen.

Der Kläger trug vor, aufgrund seiner Handelsvertretertätigkeit als Regionalgeschäftsstellenleiter, der ganz verschiedene Finanzdienstleistungsprodukte vertreibe und dem vier Mitarbeiter zugeordnet seien, sei er nicht versicherungspflichtig nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. Diese Vorschrift diene dem Schutz des "kleinen Selbstständigen". Dieser sei dann schutzbedürftig, wenn er seinen Geschäftsbetrieb wie ein Freiberufler organisiere, also seine Tätigkeit ohne Inanspruchnahme von Hilfspersonen verrichte und sich im Wesentlichen an einen Auftraggeber binde. Im Umkehrschluss folge, dass derjenige nicht des wirtschaftlichen Schutzes bedürfe, der seine selbstständige Tätigkeit so ausrichte, dass er regelmäßig für mehrere Auftraggeber tätig sei oder seine Tätigkeit so organisiere, dass er auf Hilfspersonen zurückgreife. Beide Ausnahmetatbestände lägen bei ihm vor.

Der Begriff des versicher...

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