Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewaltopferentschädigung. Anscheinsbeweis. Widerlegung

 

Orientierungssatz

Die Tatbestandsmäßigkeit eines tätlichen Angriffs indiziert grundsätzlich auch dessen Rechtswidrigkeit im Sinne eines prima-facie-Beweises. Es reicht jedoch der Nachweis von Umständen aus, die einen konkreten Schluß auf das Gegenteil zulassen, um diesen sog. Anscheinsbeweis zu entkräften. Dies bedeutet aber, daß zur Widerlegung des Anscheinsbeweises nicht der volle Gegenbeweis geführt werden muß, vielmehr genügt es, daß Umstände vorhanden sind, die auf mehr als die nur vage Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs schließen lassen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.10.1999; Aktenzeichen B 9 V 41/99 B)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) hat.

Der 1975 in W. geborene Kläger ist der Sohn des 1956 in W. geboren K. S.. Dieser wurde am 01.03.1992 in der Zeit zwischen ca. 22.00 und 22.16 durch einen Messerstich in den Rücken (links neben der Wirbelsäule im sechsten Zwischenrippenraum) in seiner Wohnung in T. tödlich verletzt. Der Messerstich wurde von dem am 13.03.1963 in C./P. geborenen und in K. wohnhaften W. D. ausgeführt. Durch den Messerstich wurde ein Pulmonalgefäß durchtrennt, was zur Verblutung in die linke Thoraxhöhle führte.

KS kam im August 1985 mit seiner Familie (Ehefrau, Kläger und Tochter M. S., geb. 1974) ins Bundesgebiet. Die Ehe wurde am 26.11.1990 geschieden. Die geschiedene Ehefrau verehelichte sich alsbald erneut (Juni 1991). Seitdem wohnte sie in F. und kümmerte sich weiterhin um die finanziellen Probleme von KS. Der Kläger blieb bei seiner Mutter, während die Tochter MS beim Vater lebte. Seit August 1991 besuchte sie ein Internat in H. und wohnte nur am Wochenende bei ihm. KS war u.a. wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie Diebstahl und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung vorbestraft.

KS hatte 1986 die Bekanntschaft von WD gemacht, der sich seit Dezember 1982 in Deutschland aufhielt. Dieser lernte 1988 die 1964 in W. geborene A. B. kennen, die er im Januar 1990 heiratete. WD ist wegen Diebstahls geringwertiger Sachen mehrfach sowie wegen Diebstahls und Hehlerei vorbestraft. Zwischen den Eheleuten S. und dem - späteren - Ehepaar D. entwickelte sich eine enge Freundschaft, was sich u.a. in wechselseitigen Besuchen zum Wochenende niederschlug, wobei viel Alkohol konsumiert wurde. Nach der Scheidung des Ehepaares S. brachen die Kontakte zwischen KS und dem Ehepaar D nicht ab. KS machte von dem Ehepaar D intime Fotos.

Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Rottweil vom 11.01.1994 (1 NS 43/93) verging sich WD in der Zeit von Ostern 1987 bis Ende Januar/Februar 1992 mehrfach an MS. Letztmals hatte er sich an einem Wochenende im Februar 1992 bei einer Geburtstagsfeier seines Bruders in N. MS unsittlich genähert, wobei er ihr den Pullover zerriß. Dies war KS aufgefallen, der ob der langen Abwesenheit seiner Tochter besorgt war, jedoch den Vorfall nicht weiter verfolgte. WD wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Tuttlingen vom 04.02.1993 (AK 44/92 - Ls 202/92) wegen eines fortgesetzten Verbrechens der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit einem fortgesetzten Vergehen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit einem Verbrechen der sexuellen Nötigung und eines tateinheitlichen Verbrechens der versuchten sexuellen Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung verwarf das Landgericht Rottweil durch das Urteil vom 11.01.1994. Der Strafvollstreckung entzog sich WD durch Flucht.

Am Abend des 28.02.1992 (Freitag) besuchte das Ehepaar D wieder einmal KS. In der Wohnung hielt sich bereits ein Ehepaar (Schwester von KS und deren Mann) auf, das schon seit einigen Tagen zu Besuch war und am nächsten Sonntag wieder nach P. zurückfahren wollte. Diese übernachteten im Schlafzimmer von KS, der selbst im früheren Zimmer des Klägers schlief. Die Eheleute D übernachteten auf einem kleinen Sofa im Wohnzimmer. MS schlief bei ihrer Mutter. Am Samstagnachmittag schauten KS, das Ehepaar D sowie MS das Faschingstreiben in T. an. Nach der Rückkehr in die Wohnung schlug MS einen Besuch im A. in R. vor. Der Freund von MS fuhr diese sowie das Ehepaar und WD dorthin. KS und AD waren nicht mitgegangen. Bei der Rückkehr kurz nach 23.00 Uhr schlief KS bereits auf dem Sofa im Wohnzimmer. Das Ehepaar D nächtigte diesmal im Zimmer von MS, wo auch diese in ihrem eigenen Bett schlief. Zuvor hatte ihr WD, angezogen auf ihrer Bettkante sitzend, zärtlich über das Haar gestrichen und eine gute Nacht gewünscht.

Am Sonntag fuhren das Ehepaar D und KS in guter Stimmung gegen 11.00 Uhr an den Bodensee, aßen dort zu Mittag und kehrten gegen 15.00 Uhr in die Wohnung von KS zurück. MS war bereits gege...

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