Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit. an Mukoviszidose erkranktes Kind. Beaufsichtigung und Anhalten zur Nahrungsaufnahme. Berücksichtigung im Modul 4 und 5
Leitsatz (amtlich)
Bei einem an Mukoviszidose erkrankten Kind kann die Beaufsichtigung und das Anhalten zur (hochkalorischen) Nahrungsaufnahme im Modul 4 und im Modul 5 berücksichtigt werden. Die Notwendigkeit eines Anhaltens zum Essen bringt Einschränkungen der Selbstständigkeit zum Ausdruck, soweit krankheitsbedingt das natürliche Hungergefühl den Pflegebedürftigen nicht hinreichend zur Nahrungsaufnahme motiviert und daher nicht als Maßstab für den Umfang der Nahrungsaufnahme herangezogen werden kann. Insoweit ist eine Kumulation (= Hilfebedarf beim Essen und beim Einhalten einer Diät) möglich, wenn - wie hier - keine Deckungsgleichheit vorliegt.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. November 2021 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch ein Anspruch des Klägers auf Pflegegeld nach Pflegegrad 3 für seine Tochter im Zeitraum 1. Juli 2019 bis 31. Juli 2021 streitig.
Der Kläger ist bei der Beklagten privat pflegeversichert nach dem Pflegetarif PVN. Dem Pflegeversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegeversicherung (MB/PVV, Zusatzvereinbarungen und Tarifbedingungen) zu Grunde. Der Versicherungsschutz umfasst auch Leistungen für seine 2014 geborene Tochter L1 (im Folgenden: L.S.), die an Mukoviszidose (Fibrosis cystica), einer exokrinen Pankreasinsuffizienz, Urtikaria, ekzematösen Hautveränderungen, einer Labiensynechie und rezidivierenden Angst- und Panikattacken (bei Atemnot) leidet. Der Kläger erhielt für seine Tochter von der Beklagten seit dem 1. Februar 2017 befristet bis zum 20. Juni 2019 Leistungen nach dem Pflegegrad 3.
Nach Ablauf der zeitlichen Befristung veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der L.S. durch die M1 GmbH. In seinem Gutachten vom 1. Juli 2019 nach Begutachtung in häuslicher Umgebung ermittelte der Arzt B1 unter Berücksichtigung der pflegebegründenden Diagnosen zystische Fibrose, nicht näher bezeichnet, exokrine Pankreasinsuffizienz, Urtikaria, ekzematöse Hautveränderungen, Inkontinenz und Panikattacken einen pflegerelevanten Hilfebedarf von insgesamt 35,00 gewichteten Punkten. In den Modulen 1 und 2 bestehe kein relevanter Hilfebedarf. Im Modul 3 sei aufgrund täglich auftretender Ängste ein Hilfebedarf von drei Einzelpunkten und 11,25 gewichteten Punkten festzustellen. Im Modul 4 sei zu berücksichtigen, dass das mundgerechte Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken überwiegend unselbstständig und das Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls überwiegend selbstständig möglich sei; hieraus ergäben sich aber keine Einzel- und keine gewichteten Punkte. Im Modul 5 bestehe ein täglicher Hilfebedarf bei der Medikation, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen und Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung, einmal monatlich ein Hilfebedarf bei Arztbesuchen und wöchentlich beim Besuch anderer medizinischer und therapeutischer Einrichtungen (bis zu drei Stunden), was sechs Einzelpunkte und 20,00 gewichtete Punkte ergebe. Im Modul 6 sei zu berücksichtigen, dass die Gestaltung des Tagesablaufs und die Anpassung an Veränderungen nur überwiegend selbstständig und das Ruhen und Schlafen überwiegend unselbstständig möglich seien, weshalb ein Einzelpunkt und 3,75 gewichtete Punkte zu berücksichtigen seien. Ausgehend von 35,00 gewichteten Punkten sei der Pflegegrad 2 festzustellen. Gegenüber der Vorbegutachtung sei L.S. beim Bewältigen von Treppen selbstständig geworden, weshalb sie im Bereich der Mobilität (Modul 1) als selbstständig zu bewerten sei. Auch wenn sie wegen Widerwillens zur Nahrungsaufnahme motiviert werden müsse, sei im Modul 4 die Nahrungsaufnahme als selbstständig anzusehen. Ein zusätzlicher krankheitsbedingter hygienischer Aufwand könne nur im Modul 5 bewertet werden.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass bei L.S. Pflegebedürftigkeit nach Pflegegrad 2 vorliege und er ab dem 1. August 2019 ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 316,00 € erhalte. Das noch offene Pflegegeld für die Monate Mai bis Juli 2019 werde nacherstattet. Die Leistungszusage werde bis zum 31. Juli 2021 befristet.
Der Einstufung seiner Tochter in den Pflegegrad 2 widersprach der Kläger mit Schreiben vom 11. August 2019. In dem Gutachten der M1 GmbH fehlten einige pflegerelevante Aspekte oder seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Im Bereich der Mobilität sei zu berücksichtigen, dass das Treppensteigen nur überwiegend selbstständig möglich sei. Zwar bestehe keine Beeinträchtigung seitens des motorischen Bewegungsablaufs, L.S. sei aber sehr ...