Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen H. Williams-Beuren-Syndrom. Feststellung von Hilflosigkeit bei Kindern oder Jugendlichen. wesentliche Änderung der Verhältnisse
Leitsatz (amtlich)
Merkzeichen H bei Williams-Beuren-Syndrom.
Orientierungssatz
In den Fällen, in denen bei Kindern und Jugendlichen Hilflosigkeit festgestellt worden ist, muss bei der Beurteilung der Frage einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 auch beachtet werden, dass die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit nicht nur infolge der Besserung der Gesundheitsstörungen, sondern auch dadurch entfallen können, dass der behinderte Mensch infolge des Reifeprozesses ausreichend gelernt hat, wegen der Behinderung erforderliche Maßnahmen, die vorher von Hilfspersonen geleistet oder überwacht werden mussten, selbständig und eigenverantwortlich durchzuführen (vgl AHP 2004 Nr 22 Abs 6 S 33). Diese Überlegungen greifen aber nicht, wenn eine ursächlich nicht behandelbare Erkrankung vorliegt, die auch zu einer geistigen Entwicklungsverzögerung führt (hier: Williams-Beuren-Syndrom). In einem solchen Fall ist das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10. Vielmehr bedarf es des Nachweises, dass sich der Behinderungszustand zB aufgrund der eingeleiteten Therapiemaßnahmen wesentlich gebessert hat.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Februar 2006 sowie der Bescheid des Beklagten vom 2. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2004 aufgehoben, soweit der Klägerin der Nachteilsausgleich H entzogen wurde.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
Tatbestand
Die am ... 1983 geborene Klägerin wendet sich (noch) gegen die Aberkennung des gesundheitlichen Merkmals (Merkzeichen) “H„.
Für die Klägerin ist vom Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - S. ihre Mutter E. D. zur Betreuerin bestellt worden. In der gesetzlichen Pflegeversicherung ist die Klägerin in die Pflegestufe 1 eingestuft. Sie besuchte die G.-v.-G.-Schule H. und zuletzt bis 17.07.2003 die S. Schule S., eine Sonderschule für geistig Behinderte, zu der die Klägerin innerhalb des Schuljahres 2002/2003 wechselte. Die Schulentlassung erfolgte nach 12 Schulbesuchsjahren. Ab September 2003 befand sich die Klägerin im Berufsförderungsbereich einer Werkstatt für Behinderte.
Das Versorgungsamt Rottweil stellte mit Bescheid vom 21.05.1992 wegen eines Williams-Beuren-Syndroms den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 sowie die Merkzeichen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen “G„, “B„ und “H„ fest. In einem Nachprüfungsverfahren stellte das zwischenzeitlich zuständig gewordene Versorgungsamt H. (VA) mit Bescheid vom 03.12.1999 wegen des Williams-Beuren-Syndroms nunmehr den GdB mit 80 seit 10.12.1999 fest und lehnte einen Antrag der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens “RF„ ab. Die zuerkannten Merkzeichen “G„, “B„ und “H„ blieben weiterhin festgestellt. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, dem mit Bescheid des VA vom 09.10.2000 teilweise dahin abgeholfen wurde, dass der GdB weiterhin 100 seit dem 24.01.1992 beträgt. Die Klägerin erklärte ihren Widerspruch daraufhin für erledigt.
Am 27.05.2002 beantragte die Klägerin die Verlängerung ihres Ausweises sowie erneut die Feststellung des Merkzeichens “RF„ und am 07.04.2003 außerdem die Erhöhung des GdB.
Die Klägerin musste am 27.02.2003 reanimiert werden, nachdem sie auf dem Schulweg ein Kammernflimmern erlitten hatte. Daraufhin wurde ihr am 27.03.2003 ein Pacer-Cardioverter-Defibrillator implantiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin bereits mehr als 20 Operationen gehabt (u.a. Schrittmacherimplantation 04/99, Mitralklappenrekonstruktion 10/98, Mitralklappenersatz 02/00). In der Zeit vom 05.06. bis zum 26.06.2003 befand sie sich in der Herz-Kreislauf-Klinik W. in Behandlung. Dort gab sie u.a. eine starke Beeinträchtigung durch Tinnitus an. Außerdem berichtete die Mutter der Klägerin über eine seit der Reanimation im Februar 2003 bestehende Sprachschwierigkeit der Klägerin, die sich in einer falschen Wortwahl, fehlerhafter Grammatik und erschwerter Formulierung geäußert habe.
Das VA zog ärztliche Befundberichte, das sozialmedizinische Gutachten des MDK, Dr. S., vom 15.03.1995 zur Pflegebedürftigkeit der Klägerin, Berichte (Zeugnisse) über die Leistungen der Klägerin in den Schuljahren 1999/2000 und 2001/2002 der G.-v.-G.-Schule H., die Praktikumsbeurteilung der Werkstätte für Behinderte K. für den Zeitraum 10.02.2003 bis 21.02.2003 und das Schulentlassungszeugnis der S. Schule in S. vom 17.07.2003 bei. Mit Anhörungsschreiben vom 30.10.2003 teilte das VA der Klägerin mit, dass ihr das Merkzeichen “H„ entzogen werden solle und dass beabsichtigt sei, einen entsprechenden Neufeststellungsbescheid zu erteilen. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine wesentliche Änderung sei insofern eingetreten, als die Kläger...