Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungsanrechnungszeit. Schulausbildung. Vormerkung erst nach vollendetem 17. Lebensjahr aufgrund gesetzlicher Neuregelung. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die durch § 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 6 idF des Art 1 Nr 11 Buchst a des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (WFG) vom 25.9.1996, in Kraft getreten am 1.1.1997 vorgenommene Änderung, Zeiten der schulischen Ausbildung erst ab Vollendung des 17. Lebensjahres (bisher 16. Lebensjahr) zu berücksichtigen, verstößt nicht gegen das Grundgesetz (Art 14 Abs 1 GG iVm Art 3 Abs 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 GG).
2. Die zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erforderliche Abwägung ergibt, dass ein öffentliches Interesse an dem Inkrafttreten der Neuregelung das Interesse der betroffenen Personen an dem Fortbestehen der bisherigen günstigeren Regelung überwiegt. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats bereits aus der relativen Geringfügigkeit des Eingriffs in zeitlicher Hinsicht, zudem aber in Kombination mit der Tatsache, dass es sich ohnehin nicht um Zeiten handelt, die durch Beitragsleistung "erworben" worden sind. Ein Eingriff in selbst erworbene Beitragszeiten ist damit gerade nicht erfolgt.
Nachgehend
Tatbestand
Gestritten wird über die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheides im Sinne des § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch, 6. Buch, (SGB VI).
Der ... 1937 geborene Kläger befand sich nach Vollendung des 16. Lebensjahres bis zum 1. Mai 1956 in Schulausbildung. Vom 2. Mai 1956 bis 20. Juni 1960 absolvierte er das Studium der Rechtswissenschaften. Nach Ablauf der zweijährigen Referendarszeit entrichtete er aufgrund seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ab 1. September 1962 bis 31. Januar 1967 Pflichtbeiträge zur Beklagten. Danach ließ er sich ab 1. Juli 1968 von der Angestelltenversicherungspflicht befreien und entrichtete zeitweise freiwillige Beiträge.
Mit Bescheid vom 20. November 1984 merkte die Beklagte folgende Zeiten als Ausfallzeit-Tatsache nach § 36 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vor:
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09.08.53-29.02.56 |
Schulausbildung |
01.03.56-09.03.56 |
Schulausbildung |
10.03.56-31.03.56 |
Schulausbildung |
01.04.56-30.04.56 |
Schulausbildung |
01.05.56-01.05.56 |
Schulausbildung |
02.05.56-31.05.56 |
Hochschulausbildung |
01.06.56-31.12.56 |
Hochschulausbildung |
01.01.57-20.06.60 |
Hochschulausbildung |
Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 30. November 1988 stellte die Beklagte die bis 31. Dezember 1981 zurückgelegten versicherungsrechtlichen Daten verbindlich fest, u.a. auch die im erstgenannten Bescheid aufgeführten Zeiten.
Mit Bescheid vom 10. Juni 1998 stellte die Beklagte die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgeblichen Zeiten fest. Dabei berücksichtigte sie die Zeit der Schulausbildung vom 9. August 1953 bis 8. August 1954 ohne Anrechnung, ebenso die Zeit der Hochschulausbildung vom 9. August 1959 bis 20. Juni 1960, was sie mit den zum 1. Januar 1997 eingetretenen Rechtsänderungen begründete. Soweit in der Vergangenheit Ausbildungszeiten vor dem 17. Lebensjahr durch Bescheid anerkannt worden seien, sei dieser rechtswidrig und werde hiermit aufgehoben. Die übrigen Zeiten blieben unverändert.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, bei verfassungskonformer Auslegung könne dem Gesetz keine Rückwirkung zukommen, da es andernfalls enteignend wirke und hierfür die parlamentarischen Mehrheiten nicht gegeben gewesen seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 1998 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Für die Berücksichtigung von Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) sei das am 27. September 1996 verkündete und seinen wesentlichen Teilen am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) anzuwenden. Dies bedeute im Fall des Klägers, dass Zeiten der schulischen Ausbildung nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI erst ab Vollendung des 17. Lebensjahres zu berücksichtigen seien. Soweit der Kläger bezweifle, dass die Rechtsänderungen verfassungskonform seien, werde auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.05.1995 -- 13/4 RA 13/94 verwiesen. Damals habe das BSG entschieden, dass die die Rechtspositionen der Versicherten verschlechternden Regelungen des SGB VI verfassungsrechtlich zulässige gesetzgeberische Bestimmungen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) darstellten. Der Gesetzgeber habe demnach nicht nur deshalb eine besonders große Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 53, 257, 293), weil bei Rentenanwartschaften die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen bereits von vornherein angelegt seien, sondern auch, weil es lediglich um die Begrenzung von Positionen gegangen sei, die Ausdruck besonderer Vergünstigungen gewesen seien, so u.a. die Abgeltung der Pflichtbeiträge in den ersten...