Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in eine versäumte Berufungsfrist und wann man bei der Versendung der Berufungsschrift durch einen Briefdienstleister noch auf eine fristgerechte Zustellung an das Gericht vertrauen darf.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 19. September 2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, wobei schon die Zulässigkeit der Berufung streitig ist.
Der 1961 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Lagerarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem Jahr 2014 ist er arbeitslos und bezieht Sozialleistungen, u.a. zuletzt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Am 16.06.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (Bl. 3 ff., 323 ff. VA).
Vom 01.12.2020 bis 23.12.2020 befand sich der Kläger zur stationären medizinischen Rehabilitation in der F1 B1, aus der er mit den Diagnosen Omalgie beidseits mit Funktionseinschränkung, chronisches Dorsalsyndrom, Anpassungsstörungen, nichtorganische Insomnie und chronisches Cervicocranialsyndrom, Cervikobrachialsyndrom beidseits, Gonalgie beidseits sowie dem Verdacht auf Coxarthrose beidseits und einem - nach Einschätzung der dort behandelnden Ärzte - Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen entlassen wurde (Ärztlicher Entlassbericht vom 23.12.2020, Bl. 270 ff. VA).
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2021 (Bl. 57 ff. VA) den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Den Widerspruch des Klägers vom 06.02.2021 (Bl. 379 ff. VA) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2021 (Bl. 385 ff. VA) zurück.
Mit Schreiben vom 01.07.2021 (Einwurfeinschreiben, Poststempel der Deutschen Post auf dem Briefumschlag vom 02.07.2021, Bl. 2 SG-Akte), beim Sozialgericht (SG) Konstanz eingegangen am 05.07.2021 (Bl. 1 SG-Akte), hat der Kläger Klage „gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.06.2021“ („zunächst zur Fristwahrung“) erhoben.
Nach Vorlage eines Befundberichtes des behandelnden Z1 und aufgrund der Stellungnahme der E1 vom 30.06.2021 (Bl. 372 VA) hat die Beklagte dem Kläger erneut eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme bewilligt, woraufhin er sich vom 23.05.2022 bis 20.06.2022 zur entsprechenden Behandlung in der Klinik H1 befunden hat. Von dort ist er mit den Diagnosen längere depressive Symptomatik, gegenwärtig mittelschwer, chronisch rezidivierendes degeneratives Halswirbelsäulen(HWS)- Syndrom, Omalgie beidseits mit Funktionseinschränkung, chronisch rezidivierendes Brustwirbelsäulen(BWS)-Syndrom, chronische rezidivierendes Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom bei Osteochondrose L4/5, diskrete Retrolisthese sowie Gonalgie und einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche für leichte Tätigkeiten und unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen worden (Ärztlicher Entlassbericht vom 24.06.2022, Bl. 287 ff. VA).
Hierauf gestützt hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.09.2022 abgewiesen, da der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht bestehe. Der Gerichtsbescheid ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen worden („Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejusticebw.de beschrieben. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Konstanz, Webersteig 5, 78462 Konstanz, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.“). Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger laut Postzustellungsurkunde (Bl. 111/112 SG-Akte) am 22.09.2022 zugestellt worden.
Mit Schreiben vom 19.10.2022 (Poststempel des privaten Briefdienstleisters A1 GmbH auf dem an das Landessozialgericht - LSG - Baden-Württemberg adressierten Briefumschlag vom 24.10.2022, Bl. 3 Senats-Akte), eingegan...