Leitsatz (amtlich)

Die Betreuung von älteren Patienten in einem Pflegeheim könnte eine Praxisbesonderheit darstellen; dies aber nur dann, wenn nachweisbar ein erhöhter Behandlungsbedarf besteht.

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.06.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Festsetzung einer individuellen Beratung wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für das Jahr 2013.

Die Kläger waren bis 2022 als Fachärzte für Allgemeinmedizin (hausärztliche Internisten) in einer Berufsausübungsgemeinschaft zur vertragsärztlichen Versorgung in B1 (O1) zugelassen.

Im Jahr 2013 hatten die Kläger insgesamt 12.377 Behandlungsfälle (Mitglied/Familienangehörige ≪M/F≫ 8.641, Rentner ≪R≫ 3.736) und verordneten Arznei- und Verbandmittel in Höhe von 1.431.339,61 € (brutto). Die zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen (Beigeladene zu 2 bis 7) und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (≪KVBW≫, Beigeladene zu 1) für 2013 vereinbarten Richtgrößen lagen in der Richtgrößengruppe für FA Allgemeinmedizin, hausärztliche Internisten (RIG 192) für M/F bei 46,55 € je Fall und für R bei 161,99 € je Fall, was einem Richtgrößenvolumen für die Kläger in Höhe von 1.007.433,19 € entspricht.

Mit Schreiben vom 13.11.2015 teilte die Prüfungsstelle der Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen Baden-Württemberg den Klägern mit, im Rahmen einer Vorabprüfung sei festgestellt worden, dass das Arzneimittelverordnungsvolumen im Kalenderjahr 2013 das individuelle Richtgrößenvolumen der Kläger um mehr als 15 % (nämlich um 28,06 %) überstiegen habe. Die Prüfungsstelle führe daher eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise von Arznei- und Verbandmitteln (Richtgrößenprüfung) bei den Klägern durch. Aufgrund der vorliegenden Daten werde davon ausgegangen, dass die Überschreitung nicht in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten erklärt werden könne. Den Klägern wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Dem Anhörungsschreiben waren zur näheren Erläuterung Anlagen beigefügt (u.a. eine Verordnungsstatistik für Arzneimittel nach Richtgrößen sowie Anlagen zur Anwendung der Filter des von den Prüfgremien zur Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten angewandten Filterverfahrens).

Mit Schreiben vom 24.11.2015 führten die Kläger daraufhin aus, eine detaillierte Stellungnahme sei in der Kürze der Zeit nicht möglich. Ein Schwerpunkt der Praxis liege im Bereich Palliativmedizin, Geriatrie und Gerontopsychiatrie, speziell Demenz. Insoweit sei ergänzend zur medikamentösen Therapie ein integratives Therapieangebot aufgebaut worden. In diesen Bereichen fielen vermehrt teure Medikamente (Antidementiva, moderne Psychopharmaka, moderne Antikonvulsiva, Analgetika und Antikoagulantien) an. Ein Vergleich der in diesem Bereich verordneten Medikamente mit der Vergleichsgruppe würde sicher ergeben, dass die Praxis deutlich über dem Durchschnitt liege. Man halte es aber aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerung für essentiell notwendig, speziell in diesem Bereich als Hausarzt auf dem Lande für die Kläger eine gute Versorgung anzubieten. Inwieweit darüber hinaus eine indikationsbezogene Praxisbesonderheit analog zu Parkinson, Diabetes etc. für die Prüfgremien plausibel erscheine, sei nicht hinreichend sicher beurteilbar.

Mit Bescheid vom 18.12.2015 setzte die Prüfungsstelle nach einer Auffälligkeitsprüfung, die den Zeitraum 2013 erfasst, eine individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wegen erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 % fest. Von dem Verordnungsvolumen der Kläger in Höhe von 1.431,339,61 € setzte die Prüfungsstelle für Mehrkosten nach Filter 5 (Vergleichsgruppenspezifische wirkstoffbezogene Praxisbesonderheiten) einen Betrag in Höhe von 56.443,46 €, nach Filter 6a1 (Therapie des M. Parkinson) einen Betrag in Höhe von 11.618,37 €, nach Filter 6a2 (Therapie des Asthmas/COPD) einen Betrag in Höhe von 17.644,35 €, nach Filter 6a3 (Wundversorgung) einen Betrag in Höhe von 14.646,45 €, nach Filter 6a5 (Versorgung von insulinpflichtigen Diabetespatienten des Diabetes Typ 2 - mit OAD und Insulin behandelt) einen Betrag in Höhe von 14.660,40 €, nach Filter 6c1 (Behandlung der Multiplen Sklerose) einen Betrag von 25.872,62 € sowie Kosten nach Sonder-ATC in Höhe von 372,69 € ab. Damit verblieben Verordnungskosten in Höhe von 1.290.081,27 €. Bei einem Richtgrößenvolumen von 1.007.433,19 €, das sich anhand der Fallwerte der Vergleichsgruppe der FA Allgemeinmedizin, hausärztliche Internisten, errechne, entspreche dieser Betrag einer Abweichung von 28,06 %. Abzüglich der Zuzahlungen und Apotheken- und Herstellerrabatte ergebe sich eine Nettoregresssumme von 27.849,36 €. Ein...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?