Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung. fehlende Rechtsgrundlage für die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1.1.2005. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
In Folge der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in § 335 Abs 1 S 1 SGB 3 idF vom 24.12.2003 besteht ab dem 1.1.2005 keine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei der Rücknahme der Arbeitslosenhilfebewilligung für die Vergangenheit mehr. Die durch die Rechtsänderung entstandene planwidrige Regelungslücke ist keiner erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung zugänglich.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi)einerseits sowie die Erstattung geleisteter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge andererseits.
Der 1964 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er war von 1986 bis 30.6.2003 zuletzt als Träger beschäftigt. In der Zeit vom 18.6.2001 bis 31.10.2001 und vom 10.7.2002 bis 1.6.2003 bezog der Kläger allerdings Krankengeld bzw. Übergangsgeld. Ab 1.7.2003 bezog er vom (damaligen) Arbeitsamt G. im Wege der Nahtlosigkeit nach § 125 SGB III Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 24.6.2004. In dem im Mai 2004 gestellten Alhi-Antrag machte der Kläger gesundheitliche Einschränkungen geltend und gab an, Erwerbsminderungsrente beantragt zu haben, derzeit im Widerspruchsverfahren. Der Kläger gab ein Girokonto und einen Bausparvertrag (Vertragsbeginn 4.11.1999, Bausparsumme 5112,92 Euro) an und verneinte im übrigen das Vorhandensein von Vermögen und noch nicht erfüllten Ansprüchen. Die Beklagte bewilligte daraufhin ab 25.6.2004 Alhi in Höhe von 240,59 Euro wöchentlich. Alhi wurde mit einer "urlaubsbedingten" Unterbrechung vom 19.8. bis 5.9.2004 gewährt bis 31.12.2004.
Mit Schreiben vom 9.8.2005 wurden der Beklagten vom Hauptzollamt S. Unterlagen vorgelegt, wonach der Kläger von 1999 bis November 2001 Inhaber eines Kontos bei der Türkischen Nationalbank mit einem Guthaben von (zuletzt) 300.000 DM war. Am 5.11.2001 wurde das Guthaben in Höhe von 300.000 DM zzgl. 48.847,62 DM Zinsen abgehoben und das Konto aufgelöst.
Im Hinblick darauf wurde der Kläger mit Schreiben vom 16.8.2005 zu der beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung angehört. Der Kläger trug vor, er habe die 300.000 DM im November 2001 an seine Schwester Y. darlehensweise gegeben, da diese mit ihrem früheren Ehemann eine Firma habe gründen wollen. Nachdem letzterer jedoch im Juni 2004 verstorben sei, sei seine Schwester nicht in der Lage gewesen, Rückzahlungen zu leisten.
Mit Bescheid vom 15.9.2005 hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi für die Zeit vom 25.6. bis 31.12.2004 mit der Begründung auf, der Kläger habe im Bezugszeitraum über 300.000 DM verfügt.
Die zu Unrecht bezogene Alhi in Höhe von 6756,16 Euro sei ebenso zu erstatten wie die in dieser Zeit gezahlten Krankenversicherungsbeiträge (1006,65 Euro) und Pflegeversicherungsbeiträge (111,86 Euro).
Der Widerspruch des Klägers vom 19.9.2005 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 zurückgewiesen.
Dagegen hat der Kläger am 7.10.2005 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben.
In einem weiteren Verfahren beim SG hat der Kläger beantragt, die ARGE Jobcenter Landkreis E. im Wege der einstweiligen Anordnung zur Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II zu verpflichten (S 16 AS 6443/05 ER). In diesem Verfahren ist vorgetragen worden, der Kläger habe die ihm zugeschriebenen Vermögenswerte bzw. Geldbeträge zwischenzeitlich verbraucht. Er habe seiner in der Türkei lebenden Schwester im November 2001 einen Betrag von 300.000 DM darlehensweise überlassen. Diese könne das Darlehen jedoch nicht mehr zurückzahlen. Der Kläger hat dazu eine eidesstattliche Erklärung vom 11.10.2005 ("weitere Einkünfte haben wir nicht, Vermögen besitzen wir nicht") vorgelegt, ferner auf Anforderung des SG später mehrere Kaufbelege und eine Auflistung von Überweisungen an seine in der Türkei lebende Mutter sowie eine weitere eidesstattliche Versicherung vom 28.10. 2005 ("nachdem ich im November 2001 das Konto aufgelöst habe, habe ich 300.000 DM an meine Schwester und meinen Schwager darlehensweise zum Betrieb eines Unternehmens gegeben. Mein Schwager hat Baukräne verkauft und vermietet. U. a. wegen seiner Krankheit ging das Unternehmen bankrott"). Im Beschwerdeverfahren (L 3 AS 52/06 ER-B) gegen den ablehnenden Beschluss des SG vom 1.12.2000 hat der Kläger eine (weitere) handschriftliche Erklärung seiner Schwester vorgelegt und schließlich vorgetragen, er sei zur Bestreitung des Lebensunterhaltes der Familie inzwischen gezwungen gewesen, seinen Pkw zu verkaufen. Der 3. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) hat am 24.3.2006 die Beschwerde zurückgewiesen, wegen der Begründung wird auf die Ausführungen in diesem Beschluss genommen.
Der Kläger, der die Klage mit identischen Schriftsätzen und Unterlagen begründet hat, hat nach dies...