Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Verletztenrente aus der Unfallversicherung. Verfassungsmäßigkeit. Einkommen. Unfallrente. Grundrente. Zweckbestimmte Einnahme. Sozialhilfe. Entgeltersatz. Regelungslücke

 

Orientierungssatz

1. Eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist in voller Höhe als Einkommen nach § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 zu berücksichtigen .

2. Die Verletztenrente nach SGB 7 ist keine Einnahme, die nach § 11 Abs 3 SGB 2 iVm § 1 AlgIIV von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen wäre. Sie ist keine Entschädigung nach § 253 Abs 2 BGB. Der Zweck der Unfallrente ist in der Hauptsache der Ersatz von Lohnausfall, sodass Zweckidentität im Hinblick auf die Leistungen nach SGB 2 besteht .

3. Von der Einkommenberücksichtigung kann auch nicht unter analoger Anwendung der Vorschriften des § 11 Abs 3 Nr 1 oder Nr 2 SGB 2 abgesehen werden .

4. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen verletzt insbesondere Art 3 Abs 1 GG nicht .

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; SGB II § 11 Abs. 1-3; Alg-II-VO § 1 Abs. 1 Nr. 2; SGB XII § 83; Alhi-VO 2002 § 2 S. 1 Nr. 2; BGB § 253 Abs. 2

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.12.2007; Aktenzeichen B 14/7b AS 22/06 R)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit. Streitig ist, ob auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ganz oder teilweise der Bezug einer Verletztenrente nach dem Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) angerechnet werden darf.

Der 1952 geborene Kläger bezieht nach einem Arbeitsunfall im Jahre 1994 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 von Hundert, welche ab dem 01.07.2003 in Höhe von 341,88 € gewährt wurde. Der Kläger bezog bis zum 04.11.2001 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe. Noch während des Bezugs von Arbeitslosenhilfe beantragte er für die Zeit ab dem 01.01.2005 die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II). Mit Bescheid vom 14.12.2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.05.2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 127,36 € monatlich. Der Betrag setzte sich aus der Regelleistung von 345,- € und den Kosten der Unterkunft von Heizung in Höhe von 124,24 € monatlich abzüglich der Verletztenrente in Höhe von 341,88 € monatlich als anzurechnendes Einkommen zusammen.

Der Kläger legte Widerspruch gegen die Anrechnung der Verletztenrente ein, da diese für einen tatsächlichen Schadensfall (Arbeitsunfall) und als Ausgleich für Nachteile in sämtlichen Lebensbereichen gezahlt werde.

Mit Änderungsbescheid vom 24.01.2005 erkannte die Beklagte an, dass ein Pauschalbetrag von 30,- € monatlich für angemessene private Versicherungen nach § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-VO vom 20.10.2004, BGBl I S. 2622) abzusetzen sei, was zu einem monatlichen Leistungsbetrag von nunmehr 157,36 € führte. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2005 als unbegründet zurück. Bei der Unfallrente handele es sich weder um eine so genannte privilegierte Rente (Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - oder nach anderen, eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehenden Gesetzen) noch um eine zweckbestimmte Einnahme, weswegen auch eine Privilegierung nach § 11 Abs. 3 SGB II nicht in Betracht komme.

Der Kläger hat am 24.02.2005 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er erhalte die Unfallrente, weil er bei einem unverschuldeten Arbeitsunfall mehrere Finger verloren habe; die Unfallrente erhalte dadurch den Charakter eines Schmerzensgeldes und dürfte deswegen nicht auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II angerechnet werden. Durch die Unfallfolgen sei eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und auch des alltäglichen Lebens entstanden. Auch bei der Gewährung von Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sei das Schmerzensgeld des Hilfeempfängers unberücksichtigt geblieben.

Für die Zeit ab dem 01.05.2005 wurden dem Kläger vom Landratsamt/Sozialamt des S-Kreises Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II bis zum 30.11.2005 in Höhe von monatlich 124,24 € bewilligt. Die Beklagte hat für die Zeit vom 01.06.2005 bis zum 30.11.2005 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 33,12 € bewilligt, wobei sie auf ihrem Rechtsstandpunkt zur Anrechenbarkeit der Verletztenrente beharrte.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.12.2005 als unbegründet abgewiesen. Die Klage betreffe allein den Leistungszeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2005. Die für den anschließenden Gewährungs-Zeitraum ergangenen Folgebescheide seien nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Beklagte habe...

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