Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Unfallrente ist in Höhe des Betrages, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) geleistet würde, nicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen.
Orientierungssatz
Die volle Berücksichtigung der Unfallrente würde im Übrigen zu einer verfassungsrechtlich (Art 3 Abs 1 GG) nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Beziehern einer Unfallrente gegenüber Empfängern der in § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 genannten Leistungen führen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Dezember 2005 und die Bescheide der Beklagten vom 3. November 2004 und 21. Januar 2005 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 30. Juni und 6. Oktober 2005 abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung des Betrages seiner Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, der bei gleichem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz geleistet würde.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger gewährte Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in voller Höhe auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II anzurechnen ist.
Der am ... 1946 geborene Kläger bezieht von der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft eine Versichertenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. in Höhe von € 396,20.
Die Beklagte bewilligte ihm auf seinen Antrag hin mit Bescheid vom 3. November 2004 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2005 in Höhe von € 344,34 monatlich und berücksichtigte dabei seine Unfallrente in voller Höhe als Einkommen. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und vertrat die Auffassung, die Rente dürfe nicht in voller Höhe angerechnet werden, da es sich bei ihr um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) handele, die einem anderen Zweck als die Leistungen des SGB II diene und seine Lage nicht so günstig beeinflusse, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Die Verletztenrente diene nämlich auch einem Ausgleich für den Verlust von Erwerbsmöglichkeiten und orientiere sich am Charakter eines teilweisen Schmerzensgeldes. Sie beinhalte darüber hinaus einen Anteil, der den pauschalen Ausgleich eines durch die Körperschäden bedingten Mehrbedarfs bezwecke. Da sie somit jedenfalls teilweise die gleiche Funktion wie die Kriegsopfergrundrente habe, stelle es eine willkürliche und verfassungsrechtlich nicht haltbare Ungleichbehandlung dar, sie im Gegensatz zur Kriegsopferrente voll als Einnahme zu berücksichtigen. Ferner sehe § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II die Privilegierung von Entschädigungen für Nichtvermögensschäden vor. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung sei dem Geschädigten aber die Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen abgeschnitten. Auch unter diesem Gesichtspunkt verbiete sich eine Ungleichbehandlung von Schmerzensgeldansprüchen und Entschädigungsleistungen aus der Unfallversicherung. Bereits bei der Bedürftigkeitsprüfung für die Arbeitslosenhilfe sei der Zweckbestimmung der Verletztenrente Rechnung getragen worden. Eine andere Wertung sei auch im Rahmen des SGB II nicht zulässig.
Die Beklagte erhöhte mit Änderungsbescheid vom 21. Januar 2005 aufgrund einer Mieterhöhung den monatlichen Leistungsbetrag für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2005 auf € 409,35. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2005 änderte sie die bisherigen Bewilligungsbescheide erneut ab und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für Januar 2005 in Höhe von € 374,34 und für die Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2005 in Höhe von jeweils € 439,35. Im Übrigen wies sie den Widerspruch des Klägers zurück und entschied, dass die dem Kläger im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten nicht erstattet werden könnten. Zur Begründung führte sie aus, von seiner Unfallrente sei ein Pauschbetrag in Höhe von € 30,-- monatlich für private Versicherungen abzusetzen. Die darüber hinaus gehende Rente sei voll als Einkommen zu berücksichtigen. Sie stelle keine zweckbestimmte Einnahme dar, sodass eine Privilegierung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a SGB II nicht in Betracht komme. Sie könne auch nicht mit einem Schmerzensgeld gleichgestellt werden, da dieses als zivilrechtliche Leistung andere Voraussetzungen und Zielrichtungen habe und § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II eine nicht analogiefähige Sondervorschrift sei.
Gegen die im Widerspruchsbescheid enthaltene K...