Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. objektive Beweislast für Eintritt eines Versicherungsfalls der Erwerbsminderung durch den Rentenantragsteller. Feststellung einer Erwerbsminderung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Versicherte trägt die objektive Beweislast dafür, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals vorgelegen haben und seither ununterbrochen besteht.
2. Ohne ärztlich dokumentierte Befunde und funktionelle Beeinträchtigungen lässt sich nicht allein auf der Grundlage von einer behandelnden Psychotherapeutin mitgeteilten Beschwerdeangaben der Versicherten eine Erwerbsminderung feststellen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 12.12.2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin für die Zeit vom 01.10.2021 bis 30.09.2024 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zusteht.
Die 1964 geborene Klägerin - Mutter von drei Kindern, ihr erstes Kind verstarb 1991 im Alter von vier Jahren - war zunächst von Mitte Oktober 1981 bis Mitte April 1982 als hauswirtschaftlich-pflegerische Praktikantin im Kreiskrankenhaus E1 und von Anfang Mai 1982 bis Ende September 1984 als Pflegehilfskraft im Psychiatrischen Landeskrankenhaus E1 versicherungspflichtig tätig. Von Anfang Oktober 1984 - mit Unterbrechungen durch Mutterschutz und Erziehungsurlaub - bis Anfang März 1989 durchlief sie dort erfolgreich eine Ausbildung zur Krankenschwester und war in diesem Beruf, wiederum unterbrochen durch Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten, bis Ende September 1996 (ab Anfang Februar 1993 in der Abteilung Neurophysiologie des Universitätsklinikums F1) beschäftigt. Von April 1999 bis Ende August 2013 war sie sodann geringfügig ohne Versicherungspflicht und vom 01.09.2013 (mit Unterbrechung im März 2014) bis 20.12.2016 (letzter Pflichtbeitragsmonat) versicherungspflichtig in Teilzeit (ein- bis dreimal die Woche, drei bis fünf Stunden, S. 178 VerwA) als Servicekraft in der Gaststätte des Lebensgefährten ihrer Schwester (S. 195 VerwA); ausweislich der Angaben der Klägerin (Aufgabe der Beschäftigung „wegen Geschäftsaufgabe“, S. 179 VerwA und S. 3 SG-Akte) gab dieser den Betrieb Ende 2016 auf. Wegen der weiteren Einzelheiten der zurückgelegten rentenrechtlichen Versicherungszeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 14.02.2024 (S. 33 ff. Senats-Akte), der für die Zeit nach Dezember 2016 keinerlei Eintragungen mehr enthält, Bezug genommen.
Vom 27.11.2013 bis 08.01.2014 befand sich die Klägerin in psychiatrisch-stationärer Behandlung in der F2-Klinik in B1. Im Entlassungsbericht vom 05.02.2014 nannten die Ärzte als Diagnosen eine rezidivierende depressive Störung ohne psychotische Symptome, gegenwärtig schwere depressive Episode (bei Entlassung nach teilweiser Besserung noch mittelgradig ausgeprägt), einen Zustand nach (Z.n.) Meningitis sowie eine Kurzsichtigkeit (Myopie). Sie wiesen darauf hin, dass die Klägerin seit Jahren nicht in psychiatrischer Behandlung stehe.
Am frühen Abend des 08.11.2016 stellte sich die Klägerin in der Chirurgischen Klinik des O1 Klinikums in L1 vor, nachdem sie ausgerutscht und hingefallen war; einen Bezug zu ihrer beruflichen Tätigkeit - namentlich einen Arbeitsunfall - erwähnte sie (auch in Folge) nicht. Die Ärzte diagnostizierten eine Schulterluxation rechts und veranlassten eine MRT der Schulter, die am 28.11.2016 eine subtotale Ruptur der Supraspinatussehne, eine partielle Ruptur der Infraspinatussehne, eine schwerste Tendinose der Subscapularissehne, einen Einriss des Bizepsankers mit Ablösung des anterioren Labrums und eine Tendinose der langen Bizepssehne mit ausgeprägtem subacromialen Sporn ergab. Wegen der Schulterbeschwerden bescheinigte der Hausarzt der Klägerin bis einschließlich 08.01.2017 Arbeitsunfähigkeit (S. 48 SG-Akte).
Am 13.10.2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, nannte als Gesundheitsstörungen „Depressionen, Schulterluxation, Tinnitus, Gürtelrose“ sowie „wiederkehrender Schwindel nach Commotio“ und verwies auf ihren Hausarzt, ihren HNO-Arzt, ihre Psychotherapeutin und den Entlassungsbericht der Ärzte in B1; in ihrem Begleitschreiben zum Rentenantrag (S. 195 VerwA) schilderte die Klägerin ihren vielfältigen lebensgeschichtlichen und psychosozialen Belastungen, Unfälle erwähnte sie hingegen nicht, namentlich auch kein Schädeltrauma.
Mit Bescheid vom 28.10.2021 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mangels Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (ausgehend vom Tag der Rentenantragstellung lediglich drei Monate mit Pflichtbeiträgen im Fünf-Jahres-Zeitraum) ab. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass der Versicherungsfall einer Erwerbsminderung am 29.11.2016 ...