Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 SGB 10. gesetzliche Unfallversicherung. Höhe der Verletztenrente. wesentliche Verschlechterung der Unfallfolgen. MdE-Neubewertung. wesentliche objektiv-klinische Funktionsverschlechterung. Überschneidung von Unfallfolgen auf neurologischem (MdE 25 vH) und orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet (MdE 25 vH und 10 vH): keine höhere Gesamt-MdE als 40 vH

 

Leitsatz (amtlich)

Ob eine wesentliche Änderung iS von§ 48 Abs 1 SGB X vorliegt, ist durch einen Vergleich zwischen den tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit der letzten verbindlichen Rentenfeststellung und den aktuellen Verhältnissen zu ermitteln. Bei im Wesentlichen unverändertem Funktionsbefund liegt keine wesentliche Änderung vor. Überschneiden sich Unfallfolgen auf neurologischem (MdE 25 vH) und orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet (MdE 25 vH und 10 vH) weitgehend, ergibt dies keine höhere Gesamt-MdE als 40 vH.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.09.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung höherer Verletztenrente wegen einer wesentlichen Verschlechterung der Unfallfolgen im Streit.

Der 1960 geborene Kläger erlitt im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer für die Firma T1 in M1 am 28.09.1983 einen Unfall auf der Autobahn S1 in der Nähe von H1, als er - seinen eigenen Angaben nach - mit seinem Lkw auf eine Leitplanke auffuhr, durch die Scheibe aus dem Fahrerhaus geschleudert wurde und mit dem Becken auf eine Leitplanke prallte. Anschließend wurde er vom 28.09.1983 bis 12.10.1983 in der E1-Universitätsklinik in T2 (Uni-Klinik T2) behandelt. Dort wurde eine offene Beckenschaufelfraktur rechts, eine offene Bauchhöhlenverletzung mit Dünndarmteilabriss, eine Commotio Cerebri, eine große Kopfplatzwunde im Scheitelbereich und eine Riss-Quetschwunde am linken Ellenbogen diagnostiziert. Die Fragmente der zertrümmerten rechten Beckenschaufel wurden entfernt. Im Rahmen der dortigen Behandlung ergaben sich keine psychischen und zunächst auch keine neurologischen Auffälligkeiten. Seinen eigenen Angaben nach wurde der Kläger nach dem Unfall zum Industriekaufmann umgeschult und ist seit 1987 im Theaterhaus S2 - v.a. an der Kasse - tätig.

In der Folgezeit wurde eine Schädigung des Nervus femoralis und des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts objektiviert. Vom 20.09.1984 bis 03.10.1984 befand sich der Kläger zur stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T2 (BGU), in deren Rahmen eine intensive krankengymnastische Übungsbehandlung zur Verbesserung seines Gangbildes durchgeführt wurde. Die stattgehabte neurologische Untersuchung ergab eine leichte Besserung der Läsion des Nervus femoralis rechts, der Plegie der Kniestrecker rechts und eine Rückbildung der vorbestehenden Analgesie zu einer Hypalgesie. Beschwerden im Zusammenhang mit dem Schädel-Hirn-Trauma nannte der Kläger nicht und wurden klinisch auch nicht beschrieben.

Am 25.04.1985 wurde der Kläger erstmals im Auftrag der Beklagten durch den Ärztlichen Direktor der Abteilung Neuropsychologie mit Neurologischer Poliklinik der Uni-Klinik T2 M2 begutachtet. Als Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet beschrieb M2 eine deutlich ausgeprägte Schädigung des Nervus femoralis und des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 30 v.H. auf Dauer ein. Zudem führte er in seinem Gutachten u.a. aus, dass sich kein Hinweis auf eine bei dem Unfall erlittene substantielle Hirnschädigung (Contusio cerebri) ergeben habe und Beschwerden bezüglich der reversiblen Hirnfunktionsstörung seitens des Klägers weder geltend gemacht, noch 19 Monate nach dem Unfallereignis noch zu erwarten seien.

Mit Bescheid vom 22.03.1988 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 27.02.1988 wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 28.09.1983 eine Verletztenrente auf Dauer nach einer MdE um 30 v.H. Als Unfallfolgen erkannte sie an: einen Teilverlust des rechten Darmbeines, Verkalkungen lateral des Darmbeinrestes rechts, eine tief eingezogene ausgeprägte Narbenplatte im Bereich des rechten Darmbeinkammes, eine endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Beines, eine Muskelminderung des rechten Oberschenkels, eine Verstreichung der Kniegelenkskonturen rechts, eine Fußsohlenminderbeschwielung rechts, ein rechtsbetontes Hinken, eine deutlich ausgeprägte Schädigung des Nervus femoralis und des Nervus cutaneus femoris lateralis rechts, eine verminderte Spannung im Musculus quadriceps rechts, eine herabgesetzte Schmerz- und Berührungsempfindlichkeit im Versorgungsbereich des Nervus saphenus und des Nervus cutaneus femoralis rechts, d.h. an der Oberschenkelaußen- und Oberseite sowie an der Unterschenkelober- und Innenseite rechts, multiple Narbenbildungen sowie ein Pelzigkeitsgefühl distal der Nar...

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