Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Arzneimittel. Octagam (Immunglobulin). Multiple Sklerose. kein Off-Label-Use des Arzneimittels Octagam bei sekundär chronisch-progredientem Verlauf der Multiplen Sklerose
Orientierungssatz
1. Eine Krankenkasse hat die Kosten des Arzneimittels "Octagam" im Rahmen des Off-Label-Use bei einer sekundär chronisch-progredienten Verlaufsform der Multiplen Sklerose nicht zu übernehmen, da sich eine Wirksamkeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lässt.
2. Die Zulässigkeit des Off-Label-Use des Arzneimittels Octagam beschränkt sich auf die primär chronisch-progrediente Verlaufsform.
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger das Arzneimittel Octagam (IVIG - Immunglobulin) zu gewähren.
Der am 1947 geborene Kläger ist seit 1975 an Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose - MS) erkrankt, die im Jahr 1985 in die sekundär chronisch progrediente Verlaufsform überging. Bei der MS handelt es sich um eine Krankheit letztlich unklarer Genese mit sehr unterschiedlicher Ausprägung des Verlaufs und der auf sie zurückzuführenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Der Kläger wurde seit März 2000 durch Dr. E. vom Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in W. mit Infusionen des Medikaments Octagam behandelt, die er ohne nennenswerte Nebenwirkungen gut verträgt. Ab 19. April 2000 erhielt er auch Polyglobulin (10 %) infundiert, und zwar seinen Angaben zufolge am 20. Juni, 17. Juli, 14. August und 11. September 2000. Ab 09. Oktober 2000 wurde ihm wieder Octagam verabreicht. Nachdem sich die Beklagte mit Schreiben vom 10. April 2002 geweigert hatte, die Kosten für Octagam weiter zu übernehmen, und eine Behandlung mit den Mitteln Betaferon oder Copaxone als Alternativen aufgezeigt hatte, streckte der Kläger zunächst die erheblichen Kosten für das nunmehr auf Privatrezept verordnete und vom behandelnden Arzt, dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. F., monatlich verabreichte Medikament vor und verlangte von der Beklagten die Erstattung verauslagter € 1.787,12. Die Beklagte veranlasste daraufhin die Übersendung eines Entlassungsberichts über die in der Zeit vom 01. bis 17. März 2000 im ZfP durchgeführte stationäre Behandlung an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in Waiblingen, während der Kläger die Behandlung mit Octagam am 21. Mai 2002 stationär fortsetzte. Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin und Diplom-Psychologe Dr. M.-J. vom MDK S. gelangte in seiner Stellungnahme vom 17. Mai 2002 zu dem Ergebnis, dass eine Behandlung mit Octagam für die beim Kläger bestehende Verlaufsform nicht angebracht sei; es stehe jedoch eine vertragsgemäße Behandlung mit Betaferon B zur Verfügung, deren Einsatz zu prüfen sei. Für die erstrebte Behandlung gebe es keine hinreichende wissenschaftliche Grundlage. Er wies darauf hin, dass der behandelnde Chefarzt Dr. E. vom ZfP eine weitere Behandlung mit Octagam nicht mehr vorgesehen habe, der Kläger jedoch die Fortsetzung wünsche. Dr. F., der nach Angaben des Klägers das Medikament bislang auf Kassenrezept verordnet hatte, übersandte auf Anfrage der Beklagten den an den behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. W. gerichteten Arztbrief des Dr. E. vom 09. April 2002, wonach seinerzeit eine Absetzung der Behandlung und Beobachtung der weiteren Entwicklung vorgesehen war, womit der Kläger sich jedoch nicht einverstanden erklärt hatte. In Kenntnis der ausführlichen Verlaufsschilderungen des Klägers und eines weiteren Arztbriefs des Dr. E. vom 30. März 2000 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03. Juni 2002 die Gewährung des Arzneimittels Octagam erneut ab. Unter Vorlage eines an seine Bevollmächtigten gerichteten Schreibens des Dr. E. vom 04. Juli 2002 bat der Kläger um erneute Überprüfung seines Begehrens, was die Beklagte als Widerspruch auffasste. Die Beklagte befasste sich eingehend mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum so genannten Off-Label-Use von Medikamenten, während der Kläger geltend machte, Betaferon sei für seine Erkrankung keine Behandlungsalternative und Copaxone ebenfalls nicht zugelassen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2002, den damaligen Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 15. November 2002 zugestellt, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers zurück, da für Octagam bei der Verlaufsform der MS, die beim Kläger gegeben sei, keine Zulassung bestehe. Es sei nach den vorliegenden Forschungsergebnissen auch nicht anzunehmen, dass eine Zulassung in absehbarer Zeit erteilt werde.
Mit der am Montag, dem 16. Dezember 2002 schriftlich zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und machte vor allem geltend, es gebe gar keine andere Behandlungsmöglichkeit für die b...