Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Soziotherapie. Anspruch je Krankheitsfall in Dreijahreszeitraum
Leitsatz (amtlich)
Die Begrenzung auf "120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall" in § 37a Abs 1 S 3 SGB 5 ist so zu verstehen, dass bei einer über drei Jahre hinausgehenden Behandlungsbedürftigkeit mit Beginn des nächsten Drei-Jahreszeitraums ein neuer Krankheitsfall eintritt und damit wiederum ein Anspruch auf Soziotherapie im Umfang von maximal 120 Stunden besteht.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. September 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie der Bescheid vom 1. Februar 2007 aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die weitere Gewährung von Soziotherapie nach § 37a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).
Bei der 1945 geborenen Klägerin besteht seit Jahrzehnten eine psychische Erkrankung, die nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten 10 (ICD-10) derzeit als “Schizophrenes Residuum (F 20.5)„ bezeichnet wird. Die Klägerin musste deshalb auch mehrmals stationär behandelt werden, ua vom 17. Dezember 2001 bis 2. April 2002 sowie auch im Februar 2007. Am 21. Mai 2003 stellte der behandelnde Facharzt für Psychiatrie Dr. S. erstmals eine “Verordnung Soziotherapie gem. § 37a SGB V„ aus und reichte diese am 27. Mai 2003 bei der Beklagten ein. Als Schweregrad nach der “Global Assessment of Functioning Scale (GAF-Skala) gab er den Wert 31 an. Er begründete seine Verordnung ua damit, dass der Erhalt des Funktionsniveaus bei der Klägerin nicht ausreichend sei, weitere Krankenhausaufenthalte würden folgen. Eine Besserung sei ausschließlich durch eine intensive Betreuung der Patientin zu erreichen. Eine Verwahrlosung müsse ausgeschlossen werden. Nachdem die Beklagte die Gewährung der verordneten Leistung zunächst abgelehnt hatte, gewährte sie schließlich mit Bescheiden vom 18. September 2003 und vom 19. Juli 2004 jeweils 30 Einheiten Soziotherapie, die die Klägerin erstmals am 22. Mai 2003 und zuletzt am 17. Mai 2007 in Anspruch nahm. Die bewilligten 60 Therapiestunden sind annähernd ausgeschöpft.
Die Klägerin hält die Fortsetzung der Soziotherapie für dringend erforderlich. Dr. S. bestätigte dies mit Attest vom 25. März 2006. Die Beklagte lehnte jedoch die Gewährung von Soziotherapie über den 20. Mai 2005 hinaus durch Bescheid vom 15. Mai 2006 und Widerspruchsbescheid vom 1. August 2006 ab, da § 37a SGB V den Behandlungszeitraum auf maximal drei Jahre begrenze.
Die Klägerin hat hiergegen am 31. August 2006 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und geltend gemacht, die bisher in Anspruch genommenen Therapiestunden reichten nicht aus. Nach § 37a SGB V könnten nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist beim gleichen Krankheitsfall weitere 120 Stunden Soziotherapie verordnet werden.
Dr. S. hat die Notwendigkeit der Fortsetzung der Therapie mit Attest vom 9. November 2006 erneut bestätigt und - aufgrund der gleichen Erkrankung - am 18. Januar 2007 erneut Soziotherapie verordnet. Den auf diese Verordnung gestellten Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 2007 abgelehnt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. September 2007 abgewiesen, da der Wortlaut des § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V die Gewährung von Soziotherapie auf einen Zeitraum von drei Jahren begrenze.
Die Klägerin hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 13. Februar 2008 zugestellte Urteil am 7. März 2008 Berufung eingelegt und mit dieser ihre Rechtsansicht wiederholt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. September 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2006 sowie den Bescheid vom 1. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 20. Mai 2006 hinaus Soziotherapie zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten vergleichsweise Einigkeit darüber erzielt, dass bei der Klägerin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 37a Abs. 1 Satz 1 SGB V sowie die Anforderungen nach den Soziotherapie-Richtlinien erfüllt sind und lediglich noch darüber gestritten werde, ob dem geltend gemachten Anspruch § 37a Abs. 1 Satz 3 SGB V entgegensteht.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist begrü...