Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Syndikusrechtsanwalt. rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht. Zahlung von Mindestbeiträgen
Leitsatz (amtlich)
Die Befreiung als Syndikusrechtsanwalt von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wirkt gemäß § 231 Abs 4b S 4 SGB VI für die Zeit zurück, für die Mindestbeiträge iHv 30 von Hundert des Regelpflichtbeitrages gemäß § 13 Abs 1 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg gezahlt wurden (Anschluss an BVerfG vom 19.7.2016 - 1 BvR 2584/14).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. November 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die rückwirkende Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht.
Die Klägerin war seit dem 17. April 2008 als Rechtsanwältin zugelassen und Mitglied in der Bayerischen Versorgungskammer, ab 13. Juli 2009 im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg. Mit Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2008 wurde sie ab dem 17. April 2008 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Die Befreiung erfolgte aufgrund ihrer Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin bei D. Ab dem 1. Februar 2011 arbeitete die Klägerin als Legal C. im Bereich Administration bei der Firma S. GmbH. Die Tätigkeit war zunächst befristet bis zum 31. Januar 2013. Mit Schreiben vom 9. März 2011 teilte die Beklagte mit, dass sich die Befreiung vom 31. Juli 2008 auf diese Tätigkeit erstrecke.
Nachdem das Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt wurde, beantragte die Klägerin bei der Beklagten am 4. Februar 2013 erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 4. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Befreiung ab, da es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um keine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 2. August 2013 Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren wurde aufgrund eines zu dieser Frage beim Bundessozialgericht (BSG) anhängigen Verfahrens zum Ruhen gebracht.
Am 18. März 2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten aufgrund der mittlerweile eingetretenen Rechtsänderung die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge. Mit Bescheid vom 14. September 2016 ließ die Rechtsanwaltskammer Freiburg die Klägerin als Syndikusrechtsanwältin für ihre Tätigkeit bei der Firma S. GmbH zu. Die Klägerin hat die Urkunde am 23. September 2016 erhalten. Mit Bescheid vom 15. November 2016 wurde die Klägerin daraufhin ab dem 23. September 2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Mit Bescheid vom 3. März 2017 befreite die Beklagte die Klägerin rückwirkend vom 1. April 2014 bis zum 22. September 2016 für ihre Tätigkeit bei der Firma S. GmbH von der Rentenversicherungspflicht. Mit weiterem Bescheid vom 3. März 2017 lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge für die Zeit vom 1. Februar 2013 bis 31. März 2014 ab. Die Klägerin habe keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt.
Am 28. März 2017 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch. Sie habe Mindestbeiträge i.H.v. 30 % des Regelpflichtbeitrages geleistet. Dabei handele es sich auch um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Mindestbeiträge, die keinen unmittelbaren Bezug zum Einkommen hätten, sondern sich pauschal auf Grundlage des Höchstbetrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelbetrages ergeben, seien keine einkommensbezogenen Pflichtbeiträge.
Daraufhin hat die Klägerin am 3. August 2017 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe in seiner Entscheidung vom 19. Juli 2016 (1 BvR 2584/14, juris) überzeugend die Rechtsauffassung vertreten, dass es sich bei den Mindestbeiträgen um einkommensbezogene Pflichtbeiträge handele. Die Beklagte hat vorgetragen, dass es sich bei den Beschlüssen des BVerfG nicht um materiell-rechtliche Entscheidungen gehandelt habe. § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI knüpfe an den Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI an, welcher ebenfalls die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge erfordere. Dazu zählten unbestritten nicht Mindestbeiträge, die keinen unmittelbaren Bezug zum Einkommen hätten. Die Rechtfertigung für die Befreiung von der Versicherungspflicht sei die Vermeidung doppelter Beitragspflichten. Dies setze jedoch voraus, dass die an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung der Absi...