Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2108. bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. haftungsbegründende Kausalität. Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung. B2-Konstellation. Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben. erforderliche Betroffenheit von mindestens drei Bandscheiben. Wahrscheinlichkeit. Vorliegen der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen: 7 Jahre nach Aufgabe der bandscheibenbelastenden Tätigkeit. Bauarbeiter
Leitsatz (amtlich)
"Mehrere Bandscheiben" i.S. des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 setzen das Betroffensein von mindestens drei Bandscheiben voraus. Liegen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen erst 7 Jahre nach Aufgabe der bandscheibenbelastenden Tätigkeit vor, kann ein Zusammenhang mit der beruflichen Belastung nicht mehr begründet werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 06.06.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 (BK 2108) der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.
Der 1963 geborene, aus Italien stammende Kläger arbeitete in Deutschland seit 1981 auf dem Bau, zunächst vom 19.10. bis 31.12.1981 als Bauhelfer bei der Firma G1 in B1, vom 02.05.1984 bis 31.07.2009 bei der Firma B2 GmbH in T1 als Betonsanierer, vom 01.09.2009 bis 04.03.2014 bei der Firma B3 GmbH in T1 ebenfalls als Betonsanierer und ab 15.05.2014 als Selbstständiger (Bautenschutz C1) mit freiwilliger Versicherung bei der Beklagten (S. 6 f., 135 VerwA). Seine selbstständige Tätigkeit gab der Kläger zum 04.07.2016 auf (Gewerbeabmeldung S. 27 SG-Akte). Seither ist er in der Logistikbranche beschäftigt und muss bei dieser Tätigkeit ohne Hilfsmittel nur noch Gewichte bis 5 kg bewegen (S. 60 Rs. SG-Akte).
Am 16.03.2015 verspürte der Kläger beim Heben plötzliche Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS). Die Beklagte lehnte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab (Bescheid vom 27.03.2015, Widerspruchsbescheid vom 25.02.2016, Klageabweisung durch Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [SG] Heilbronn vom 23.11.2018, S 3 U 983/16, rechtskräftig).
Nachdem der Kläger nach Arbeitsunfähigkeit am 04.05.2015 die Arbeit wiederaufgenommen hatte, erstattete P1 mit Schreiben vom 05.06.2015 eine Verdachtsanzeige über das Vorliegen einer BK (S. 1 VerwA). Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei und holte bei der Krankenkasse des Klägers ein Vorerkrankungsverzeichnis ein (S. 59 f. VerwA).
Eine MRT der LWS vom 18.03.2015 (S1, S. 25 f. VerwA) zeigte einen sequestrierten Prolaps L4/5 mit Kompressionswirkung L5 links sowie Affektion L4 beidseits, einen Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Kompressionswirkung S1 links, Spondylarthrose mit Recessusenge beidseits, Skoliose und Osteochondrose; S1 erwähnte in seinem Bericht ferner einen Bandscheibenvorfall L3/4. Vom 19.03. bis 25.03.2015 wurde der Kläger im Klinikum L1 stationär behandelt mit einer Teilhemilaminektomie mit Bandscheibenvorfall-Entfernung und Nucleotomie L4/5 (S. 27 f. und 87 f. VerwA). Eine Untersuchung durch G2 am 17.07.2015 bestätigte klinisch und neurographisch eine Fuß- und Zehenheberplegie links (S. 50 f. VerwA). Eine MRT der LWS vom 21.10.2015 ( S1, S. 22 VerwA) zeigte im Segment L4/5 postoperativ bedingte Narbenbildung links mit Affektion L4 und 5 links sowie unverändert den nicht behandelten Bandscheibenvorfall L5/S1; genannt wurde ferner lediglich noch eine Bandscheibenvorwölbung L3/4. Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme bei K1 ein, der mit Schreiben vom 07.04.2016 ausführte, eine B-Konstellation bei BK 2108 sei möglich, konkurrierende Ursachen nicht ersichtlich und für den Fall einer ausreichenden beruflichen Belastung die Einholung eines Gutachtens empfahl (S. 121 f. VerwA). Die daraufhin eingeholte Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 06.12.2016 (S. 134 ff. VerwA) ergab eine berufliche Gesamtdosis in Höhe von 30,7 MNh nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD). Eine besonders intensive Belastung (Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis - 25 MNh - in weniger als zehn Jahren) oder hohe Belastungsspitzen (mehr als 6 kN) hätten nicht vorgelegen.
In dem daraufhin durch die Beklagte eingeholten Gutachten vom 20.02.2017 (S. 164 ff. VerwA) aufgrund ambulanter Untersuchung führte H1 aus, im Bereich der LWS bestehe eine geringgradige Skoliose, die nach den Konsensempfehlungen nicht als konkurrierender Faktor anzusehen sei. Kernspintomographisch und nach den Ergebnissen der operativen Exploration könne gesichert von Bandscheibenschäden in den beiden unteren Segmenten ausgegangen werden. Nur im Segment L5/S1 liege eine zweitgradige Chondrose vor, die übrigen Segmente ließen keine Chondrosezeichen erkennen. Die Annahme eines belastungskonformen Schadbilds sei nicht zu erhärten. W1 bestätigte mit beratender...