Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung. Streitgenossenschaft. Streitwert. fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Zuflussprinzip. Ermächtigungskonformität. Darlehen wegen voraussichtlichen Einnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft bilden eine gemäß § 74 SGG iVm §§ 59, 60 ZPO zulässige Streitgenossenschaft (subjektive Klagehäufung). Bei Streitgenossen erfolgt nach § 202 SGG iVm § 5 Halbs 1 ZPO eine Zusammenrechnung mehrerer geltend gemachter Ansprüche, soweit die Ansprüche nicht identisch sind (vgl BGH vom 28.10.1980 - VI ZR 303/79 = NJW 1981, 578).
2. Die einem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig, wenn darin nur ausgeführt ist, dass der Widerspruch "bei der oben genannten Stelle" einzulegen sei, es aber nicht ohne weiteres erkennbar ist, welche Stelle dies ist.
3. Nach § 2 Abs 2 S 1 der auf der Grundlage von § 13 SGB 2 ergangenen AlgIIV in der bis 30.9.2005 geltenden Fassung sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies bedeutet, dass das am Monatsende ausbezahlte Gehalt für den gesamten Monat als Einkommen anzurechnen ist.
Orientierungssatz
1. Die Regelung in § 2 Abs 2 S 1 AlgIIV wird von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 SGB 2 gedeckt und steht mit höherrangigem Recht im Einklang.
2. § 23 Abs 4 SGB 2 sieht vor, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden können, soweit Einnahmen anfallen. Diese Regelung soll gerade die Fälle erfassen, in denen - wie hier - im Voraus bekannt ist, dass die Hilfebedürftigkeit wegen späteren Einkommenszuflusses für den Monat ausgeschlossen oder vermindert werden wird.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II/Sozialgeld für den Monat Juni 2005 zu Recht (teilweise) aufgehoben und erbrachte Leistungen zurückgefordert hat.
Der 1974 geborene Kläger Nr. 1 und die 1973 geborene Klägerin Nr. 2 sind die Eltern der 2002 geborenen Klägerin Nr. 3. Bis Ende 2005 wohnten die Kläger in einer 55,27 m2 großen Wohnung in K. Die Grundmiete für diese Wohnung betrug im Jahr 2005 monatlich 233,80 €. Die Klägerin Nr. 2 erhielt für ihre Tochter (Klägerin Nr. 3) Landeserziehungsgeld in Höhe von monatlich 205,- € für die Zeit vom 25. bis zum 36. Lebensmonat des Kindes (Bescheid der L-Bank vom 04.04.2003).
Auf einen im September 2004 gestellten Antrag erhielten die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01. bis zum 30.04.2005. Am 18.04.2005 beantragten sie bei der Beklagten die Fortzahlung dieser Leistungen. Diesem Antrag gab die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2005 statt. Sie bewilligte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.10.2005 in Höhe von monatlich 928,94 €. Dieser Betrag errechnet sich wie folgt: Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.157,46 € setzt sich zusammen aus je 311,- € an Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für erwerbsfähige Hilfebedürftige für den Kläger Nr. 1 und die Klägerin Nr. 2, Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige in Höhe von 207,- € für die Klägerin Nr. 3 und einem Betrag von 328,46 € als Kosten der Unterkunft und Heizung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft. Von den Geldleistungen der Agentur für Arbeit (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) wird ein Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft von 228,52 € (anrechenbares Erwerbseinkommen des Klägers Nr. 1 in Höhe von monatlich 74,52 € und Kindergeld für die Klägerin Nr. 3 in Höhe von 154,- €) in Abzug gebracht. Dies ergibt für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung einen Bedarf von 600,48 € und zusammen mit den Kosten für Unterkunft und Heizung von monatlich 328,94 € den Zahlbetrag von 928,94 €.
Nach dem Ende des Erziehungsurlaubs nahm die Klägerin Nr. 2 am 06.06.2005 wieder ihre frühere Tätigkeit im öffentlichen Dienst (BAT 6B) auf. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie im Juni 2005 nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und ohne Berücksichtigung von Kindergeld eine Vergütung in Höhe von 1.118,81 €. Die Gehaltszahlung erfolgte durch Überweisung auf das Konto der Klägerin. Die Gutschrift des überwiesenen Betrages erfolgte am 29. oder 30.6.2005. Mit Bescheid vom 12.07.2005 hob die Beklagte die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 01.06.2005 auf mit der Begründung, aufgrund der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse seien die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht mehr hilfebedürftig. Der Bescheid ist mit einfachem Brief zur Post gegeben worde...