Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorläufige Leistungsbewilligung. Rücknahme bzw Aufhebung für die Vergangenheit. Ablauf des Bewilligungszeitraums. Verdrängung der §§ 45, 48 SGB 10 durch § 41a Abs 3 und 5 SGB 2
Orientierungssatz
1. Bei einer vorläufigen Leistungsbewilligung nach § 41a SGB 2 beurteilt sich die Rechtmäßigkeit einer geänderten Leistungsbewilligung ausschließlich nach den für die abschließende Entscheidung nach vorangegangener vorläufiger Bewilligung maßgebenden Vorschriften des § 41a Abs 3 und 5 SGB 2 ; für eine Anwendung der §§ 45 , 48 SGB 10 ist - zumindest zu Ungunsten des Leistungsberechtigten - nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts und damit mit Wirkung für die Vergangenheit insofern kein Raum (zur Vorgängerregelung in § 40 Abs 1 S 2 Nr 1a SGB 2 aF iVm § 328 SGB 3 vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R = SozR 4-4200 § 40 Nr 9 RdNr 17).
2. An dieser Einschätzung vermag auch § 67 SGB 2 in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung nichts zu ändern.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14.06.2023 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet den Klägern die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich im Berufungsverfahren noch gegen die Erstattungsforderung des Beklagten für Leistungen, die für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 31.03.2021 gewährt wurden.
Der 1965 geborene Kläger zu 1 verfügt ebenso wie seine 1972 geborenen Ehefrau K1 über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis; sie leben mit ihren gemeinsamen Kindern, der 1998 geborenen D1 (deutsche Staatsangehörige) und dem 2003 geborenen Kläger zu 2 (deutscher Staatsangehöriger) im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Die Nettokaltmiete beträgt 690,00 €, hinzu kommen Nebenkosten von 130,00 €. Bis April 2020 bezog der Kläger zu 1 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit. Nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse, beantragte der Kläger zu 1 Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten, zwar bestehe sein Arbeitsverhältnis fort, jedoch sei der Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung noch nicht bekannt. Die Tochter D1 absolvierte eine Ausbildung mit einem Verdienst von 1.071,59 € (brutto), bzw. 859,68 € (netto). Der Kläger zu 1 legte zum Antrag eine Bescheinigung über den Bezug von Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz (EStG) vor, wonach Kindergeld für den Kläger zu 2 bis Januar 2021 gezahlt werde.
Mit Bescheid vom 07.05.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1, seiner Ehefrau sowie dem Kläger zu 2 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von insgesamt monatlich 1.374,83 € (unter Berücksichtigung der vollen Kosten der Unterkunft, eines Mehrbedarfs für Warmwassererzeugung sowie eines Teils des Kindergeldes für die Tochter D1 beim Kläger zu 1) für den Zeitraum April 2020 bis September 2020.
Im Weiterbewilligungsantrag gab der Kläger zu 1 an, dass er Kindergeld beziehe. Dem Antrag beigefügt war eine Schulbescheinigung für den Kläger zu 2, wonach dieser bis Juli 2021 die Schule besucht.
Mit Bescheid vom 17.08.2020 in der Fassung der Bescheide vom 22.09.2020, 07.10.2020, 21.11.2020, 25.11.2020, 22.12.2020, 05.02.2021 und 09.04.2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1, seiner Ehefrau sowie dem Kläger zu 2 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (SGB II) für die Zeit von Oktober 2020 bis März 2021, wobei für Februar und März 2021 Leistungen in Höhe von monatlich 1.633,27 € bewilligt wurden, da Kindergeld für den Kläger zu 2 ab Februar nicht berücksichtigt wurde, in der Zeile Kindergeld findet lediglich eine Eintragung bei D1.
Der Beklagte holte einen Datenabgleich bei der Familienkasse hinsichtlich des Kindergeldbezuges ein. Daraus ergibt sich, dass der Kläger zu 1 für den Kläger zu 2 bis Juli 2022 (Ende der Schulausbildung) Kindergeld erhielt. Aus dem zur Akte gelangten Auszug ist ersichtlich, dass der Kläger zu 1 jedenfalls für die Zeit von Januar bis Mai 2021 monatlich Kindergeld in Höhe von 438 € für den Kläger zu 2 und D1 bezogen hat, wobei der Zahltag jeweils Mitte des Monats gewesen ist.
Mit den Anhörungsschreiben vom 15.09.2021 hörte der Beklagte die Kläger sowie K1 zu einer teilweisen Rücknahme der Bewilligung aufgrund Überzahlungen in den Zeiträumen Februar bis März 2021 und April 2021 bis Juli 2021 (bzw. September 2021 betreffend den Kläger zu 2) an. Der Kläger zu 2 habe Einkommen erzielt. Er habe in der genannten Zeit einen Anspruch auf Kindergeld. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen seien die Kläger und K1 in geringerer Höhe hilfebedürftig ( § 9 i.V.m. § 11 SGB II). Die Entscheidung dürfte wegen Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit zurückzunehmen sein ( § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 45 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Hierauf erklärte der Kläger...