Entscheidungsstichwort (Thema)

Landwirtschaftliche Unfallversicherung. forstwirtschaftlicher Unternehmer. Holzarbeiten auf einem fremden Grundstück als sog Selbstwerber. Abgrenzung: Holzhandel. Haupt- und Nebenunternehmen. Arbeitsunfall. sachlicher Zusammenhang. Erfüllung vertraglicher Lieferverpflichtungen von Holz aus dem Betrieb des eigenen Forstgrundstücks. notwendiger Zukauf von Holzschlagrechten auf einem fremden Grundstück. Brennholzverkauf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Umfang des Versicherungsschutzes eines forstwirtschaftlichen Unternehmers, der auf einem fremden Grundstück als sog Selbstwerber bzw im Wege eines sog Reißschlags Holz fällt, um dieses als Brennholz zu verkaufen.

2. Zur Abgrenzung eines forstwirtschaftlichen Unternehmens von einem Holzhandel, auch im Hinblick auf die Frage des Vorliegens eines Haupt- und eines Nebenunternehmens.

3. Der Versicherungsschutz eines forstwirtschaftlichen Unternehmers kann sich ausnahmsweise auf das Fällen von Holz auf einem fremden Grundstück erstrecken, wenn ein innerer Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des eigenen Forstgrundstücks vorliegt. Ein solcher innerer Zusammenhang kann etwa dann bestehen, wenn eine vertragliche Lieferverpflichtung des forstwirtschaftlichen Unternehmers, die aus dem Betrieb des eigenen Forstgrundstücks stammt, nur durch den Zukauf von Holzschlagrechten auf einem fremden Grundstück vollständig erfüllt werden kann (hier bejaht). (Die Entscheidung ist rechtskräftig).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.09.2022 und der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21.02.2022 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, das Unfallereignis vom 06.11.2021 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Gerichtsinstanzen zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Streit.

Der 1969 geborene Kläger ist bei der Beklagten als forstwirtschaftlicher Unternehmer veranlagt. Er besaß bis zum 15.03.2021 vier Flurstücke mit einer Gesamtfläche von 11.742 Quadratmetern (1,1742 Hektar - ha). Im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes wurde er gebeten, einen Teil seiner Grundstücke abzutreten. Daraufhin hat der Kläger zum 15.03.2021 den Großteil seiner Flächen an den S1-Kreis verkauft, nämlich drei von vier Flurstücken, so dass ab diesem Datum nur noch ein einziges Flurstück mit 1.869 Quadratmetern Fläche (0,1869 ha Forstfläche) übrigblieb.

Der Kläger hatte indes einen Kunden, der bei ihm jedes Jahr Holz mit einem Volumen von 12 Raummetern („Ster“) einkaufte. Bei der Vorbereitung der Bestellung seines Kunden im Jahr 2021 stellte der Kläger fest, dass die verkleinerte Waldfläche lediglich ein Volumen von 4 Ster Brennholz hergab. Nachdem er diese 4 Ster Brennholz von seiner eigenen Waldfläche zum Verkauf aufgearbeitet hatte, erwarb er deswegen bei der Gemeinde B1 gegen Bezahlung das Recht, auf einem bestimmten Flurstück der Gemeinde zusätzliches Holz auf eigene Rechnung zu schlagen (sog. „Selbstwerberlos“, „Reißschlag“ oder „Flächenlos“), um genügend Brennholz für seinen Stammkunden zu erhalten.

Der Kläger wurde am 06.11.2021 bei Baumfällarbeiten in Ausübung dieses auf dem Flurstück der Gemeinde B1 erworbenen Selbstwerberloses von einem Baum getroffen. Er erlitt hierbei schwere Verletzungen unter anderem am Kopf, an der Schulter und am Unterschenkel.

In seiner Unfallschilderung gegenüber der Beklagten gab der Kläger an, dass das am 06.11.2021 gefällte Brennholz für den Verkauf an Dritte bestimmt gewesen sei.

Mit Bescheid vom 22.11.2021 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Unfalls ab, da es sich nicht um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall handele. Das Unternehmen des Klägers sei bei ihr mit einer forstwirtschaftlichen Fläche von 9.600 Quadratmetern (0,96 ha) veranlagt. Die Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt sei jedoch als so genannter "Holz-Selbstwerber" in seinem eigenen Interesse erfolgt. Der Selbstwerber von Holz übe keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit für den Waldbesitzer aus, und zwar selbst dann nicht, wenn die mit dem Sammeln und ggf. mit der Aufbereitung des Holzes verbundenen Arbeiten möglicherweise auch dem forstwirtschaftlichen Betrieb dienlich seien, weil das private, eigenwirtschaftliche Interesse des Selbstwerbers an dem Holz im Vordergrund stehe. Der Selbstwerber übe eine Unternehmertätigkeit für seinen eigenen unversicherten Privathaushalt aus und könne somit nicht gleichzeitig als Versicherter nach § 2 Abs. 2 SGB VII in einem anderen Unternehmen tätig sein. Das Bundessozialgericht (BSG) habe den Grundsatz entwickelt, dass ein Unternehmer, der Tätigkeiten im Rahmen seines eigenen Unternehmens verrichte, auch dann ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens tätig werde, wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens diene. Ein versicherter Arbeitsunfall liege daher nicht vor.

Den deswegen eingelegten Widerspruch begründ...

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