Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Zugunstenverfahren gem § 44 Abs 1 SGB 10. Einbeziehung eines Ausführungsbescheides. Verschlimmerungsantrag gem § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10. Einbeziehung späterer Bescheide gem § 86 SGG oder § 96 SGG
Leitsatz (amtlich)
1. Im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 SGB 10 ist auch ohne neues Vorbringen zu prüfen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt wurde (vgl BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 24/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr 18).
2. Einem Überprüfungsverfahren kann auch ein Ausführungsbescheid unterzogen werden, der lediglich ein rechtskräftiges (teilweise für den Kläger ungünstiges) Urteil umsetzt; der Streitgegenstand ist insoweit nicht teilidentisch mit dem rechtskräftigen Urteil, weil es sich bei dem Überprüfungsverfahren um ein selbständiges Verfahren handelt (vgl BSG vom 15.10.1987 - 1 RA 15/86 = SozSich 1988, 127).
3. Wird im laufenden Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs 1 SGB 10 ein "Verschlimmerungsantrag" nach 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10 gestellt, kann nach dem maßgeblichen prozessualen Streitgegenstandsbegriff eine teilweise Identität des Streitgegenstandes für die sich überschneidenden Leistungszeiträume vorliegen. Deswegen können spätere Bescheide gem § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10 nach § 86 SGG oder § 96 SGG in das zuerst nach § 44 Abs 1 SGB 10 anhängig gewordene Verfahren einbezogen werden (vgl BSG vom 24.3.1992 - 14b/4 REg 12/90).
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 03.04.2007 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe einer Verletztenrente im Streit.
Der 1948 geborene Kläger erlitt am 24.04.1981 einen Arbeitsunfall, als er von einem Baugerüst stürzte und sich hierbei eine Fersenbeintrümmerfraktur rechts sowie eine Prellung der linken Ferse mit fraglicher Fissur des Fersenbeins zuzog.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 19.04.1983 als Folge des Arbeitsunfalls folgende gesundheitlichen Einschränkungen an: Weitgehende Einsteifung des unteren Sprunggelenks rechts, mäßiggradige Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk rechts, Muskelminderung am rechten Ober- und Unterschenkel, erhebliche Kalksalzminderung im rechten Sprunggelenk, leichte Gangbehinderung, sowie unter weitgehender Aufhebung des Tubergelenkwinkels und in leichter Valgusstellung knöchern fest verheilter Fersenbeinbruch rechts. Sie bewilligte dem Kläger ab dem 19.12.1981 (erster Tag der Arbeitsfähigkeit) eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf Dauer um 20 von Hundert (v.H.). Die Beurteilung der MdE beruhte auf einem Gutachten des Chirurgen Dr. A. vom 18.03.1983.
Das Sozialgericht Reutlingen (SG) änderte mit Urteil vom 23.04.1986 den Bescheid vom 19.04.1983 dahingehend, dass dem Kläger bis zum 23.04.1982 eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. und erst anschließend mit einer MdE von 20 v.H. zu gewähren sei (Aktenzeichen [Az.] S 5 U 812/83). Nach umfangreichen medizinischen Ermittlungen änderte das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 12.07.1990 das Urteil des SG vom 23.04.1986 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.04.1983 dahingehend ab, dass als weitere Schädigungsfolgen “sekundärarthrotische Veränderungen des rechten unteren Sprunggelenks, eine Vergrößerung eines freien Knochens (Os trigonum) und Bildung von Knochenvorsprüngen am rechten Fersenbein im Bereich des Achillessehnenansatzes, eine Beinverkürzung rechts um 1 cm, sensible Störungen an der rechten Außenseite des rechten Fußes, und die Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Schuhe„ festgestellt wurden und die Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. bis zum 17.03.1983 und anschließend in Höhe einer MdE von 20 v.H. zu zahlen war (Az. L 7 U 1720/86).
Die Beklagte führte das Urteil des LSG vom 12.07.1990 mit Bescheid vom 06.09.1990 aus. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zum Bundessozialgericht (BSG) gegen das Urteil des LSG wurde als unzulässig verworfen (Az. 2 BU 161/90).
Weitere Verfahren des Klägers mit dem Ziel, eine Erhöhung seiner Verletztenrente zu erhalten, hatten keinen Erfolg (Az. S 4 U 2066/86, L 2 U 497/89 wegen Verschlimmerung der Unfallfolgen, Beendigung durch Verfahrensvergleich aufgrund des oben genannten anhängigen Berufungsverfahrens; Az. S 4 U 1288/91, L 2 U 1753/92 wegen einer geltend gemachten beruflich bedingten Hauterkrankung; Az. S 1 U 796/94, L 2 U 1995/95 wegen der Berechnungsweise der gewährten Verletztenrente; Az. L 7 U 2687/04 Restitutionsklage gegen das Urteil des LSG mit dem Az. L 7 U 1720/86 wegen geltend gemachter fehlerhafter ärztlicher Feststellungen).
Mit Schriftsatz vom 28.06.2004 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und die Erhöhung der Verletztenrente. Der Kläger machte eine Schädigung des linken Fußes und eine 1992 in der R.-Klinik in B. durchgeführte Arthrodese des linken Fußes als Unfallfolgen s...