Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. täglich entstehende Fahrkosten zu einer Methadonbehandlung. Unabweisbarkeit. Bedarfsdeckung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Übernahme von Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung nur in besonderen Ausnahmefällen. Trennung der Leistungssysteme
Leitsatz (amtlich)
1. Bei täglich entstehenden Fahrtkosten zu einer Methadon-Substitutionsbehandlung handelt es sich um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf im Sinne des § 21 Abs 6 S 1 SGB II (Anschluss an LSG Essen vom 19.3.2015 - L 6 AS 1926/14).
2. Der Fahrtkostenbedarf ist insbesondere auch unabweisbar, weil er nicht durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gedeckt ist (Anschluss an LSG Essen vom 15.2.2016 - L 7 AS 1681/15 B).
3. Die Trennung der Leistungssysteme der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der gesetzlichen Krankenversicherung steht einem Anspruch nach § 21 Abs 6 S 1 SGB II nicht grundsätzlich entgegen (Anschluss an BSG vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R = BSGE 115, 77 = SozR 4-4200 § 21 Nr 16).
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.08.2018 insoweit abgeändert, als der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2018 verurteilt wird, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 04.04.2017 in der Gestalt der Bescheide vom 21.07.2017, vom 14.09.2017, vom 09.10.2017, vom 14.11.2017, vom 16.11.2017, vom 25.11.2017, vom 19.01.2018, vom 14.02.2018, vom 21.03.2018 und vom 06.06.2018 für den Zeitraum vom 01.05.2017 bis zum 30.04.2018 weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 97,50 € zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet der Klägerin ein Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von weiteren Leistungen nach dem SGB II aufgrund eines von der Klägerin geltend gemachten Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II für die ihr infolge einer Methadon-Substitutionsbehandlung entstehenden Fahrtkosten streitig.
Der Beklagte bewilligte der in W. lebenden Klägerin durch Bescheid vom 04.04.2017 für den Zeitraum von Mai 2017 bis April 2018 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von monatlich 653,40 € (409,00 € Regelbedarf + 9,41 € Mehrbedarf für die Warmwassererzeugung + 234,99 € Kosten der Unterkunft und Heizung).
Mit Anträgen vom 15.05.2017 und vom 19.06.2017 begehrte die Klägerin eine „Fahrtkostenerstattung“ wegen ihrer seit dem 13.04.2017 in P. stattfindenden Methadon-Substitutionsbehandlung. Diese Behandlung finde täglich statt. Die einfache Wegstrecke betrage 23,6 km. Sie benötige entweder eine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr oder die Erstattung der ihr entstehenden Benzinkosten.
Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 22.06.2017 die Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen der Fahrkosten der Klägerin nach P. ab. Der Mehrbedarf der Klägerin sei nicht unabweisbar, weil er durch Leistungen der Krankenkasse gedeckt werden könne.
Durch Änderungsbescheid vom 21.07.2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin für Juni 2017 Leistungen in Höhe von insgesamt 882,00 € und für Juli 2017 Leistungen in Höhe von insgesamt 715,89 €. Die im Vergleich zum Bescheid vom 04.04.2017 höheren Leistungen resultierten aus der Anerkennung eines Mehrbedarfs für die der Klägerin entstehenden Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit ihrer Tochter und der teilweisen Aufnahme der Tochter in die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin.
Gegen die Ablehnung der Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen der Fahrtkosten zur Methadon-Substitutionsbehandlung erhob die Klägerin Widerspruch und verwies auf die Notwendigkeit der täglichen Behandlung. Sie legte diesbezüglich eine Bescheinigung des sie behandelnden Facharztes für Psychotherapeutische Medizin F. vor. Im Weiteren legte die Klägerin den Bescheid ihrer Krankenkasse vom 11.10.2017 über die Ablehnung der Fahrtkostenerstattung hinsichtlich der Methadon-Substitutionsbehandlung sowie den deshalb erhobenen Widerspruch vor.
Aufgrund der der Klägerin wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit ihrer Tochter entstehenden Fahrtkosten und der teilweisen Aufnahme der Tochter in die Bedarfsgemeinschaft ergingen mehrere Änderungsbescheide, durch welche höhere Leistungen bewilligt wurden:
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Änderungsbescheid |
Zeitraum |
Leistungshöhe |
14.09.2017 |
August 2017 |
929,40 € |
09.10.2017 |
September 2017 und Oktober 2017 |
702,14 € 729,62 € |
14.11.2017 |
November 2017 |
708,32 € |
16.11.2017 |
November 2017 |
743,32 € |
19.01.2018 |
Dezember 2017 und Januar 2018 |
756,14 € 726,39 € |
14.02.2018 |
Februar 2018 |
726,40 € |
21.03.2018 |
März 2018 |
698,76 € |
06.06.2018 |
April 2018 |
726,60 € |
Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 25.11.2017 berücksichtigte der Beklagte die Erhöhung der Regelleistung im Zeitraum Januar bis Apr...