Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Berufsschadensausgleich. Rehabilitation vor Rente. erfolgversprechende Rehabilitationsmaßnahme. Prognose. Stabilisierung des Gesundheitszustands nicht ausreichend. Höhe des Ausgleichs. Vergleichseinkommen. berufliche Aufstiegsmöglichkeit. Berücksichtigung von hypothetischen Weiterqualifizierungen. Erforderlichkeit von konkreten Anhaltspunkten für Höherbewerbungen oder vorhandene Studienabsicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die anspruchsaufschiebende Wirkung des § 29 BVG - Rehabilitation vor Rente - tritt nur dann ein, wenn prognostisch durch berufliche Leistungen zur Teilhabe das Leistungsvermögen quantitativ und/oder qualitativ gesteigert werden kann. Medizinische Maßnahmen zur Erhaltung des status quo reichen dafür nicht aus.

2. Für die Berücksichtigung einer beabsichtigten Weiterqualifizierung im Berufsschadensrecht ist Voraussetzung, dass tatsächliche Anhaltspunkte in der Biographie bestehen, dass der Geschädigte diese ernsthaft angestrebt hat.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15. April 2020 abgeändert.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 14. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2019 auf seinen Antrag vom 18. Februar 2005 Berufsschadensausgleich ab dem 1. September 2006 nach dem Höchstbetrag der Grundvergütung in Vergütungsgruppe IVb der für Angestellte des Bundes geltenden Tarifregelung zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers erstattet der Beklagte in beiden Instanzen zwei Drittel.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist noch die Höhe und der Beginn des Berufsschadensausgleichs des Klägers streitig, der bei einem Banküberfall 2004 Opfer einer Gewalttat im Sinne des Gesetzes über die Entschädigung von Gewalttaten (OEG) wurde.

Der 1975 geborene Kläger hat im Juni 1996 die Wirtschaftsschule mit der mittleren Reife abgeschlossen. Seine bei der S. K. (Arbeitgeberin) begonnene Ausbildung endete 1996 mit der bestandenen IHK-Prüfung zum Bankkaufmann. Anschließend wurde er von der Arbeitgeberin übernommen und war zuletzt als stellvertretender Filialleiter tätig. Ab Januar 2002 reduzierte er seine Arbeitszeit auf 80 %, um berufsbegleitend den Abschluss als Wirtschaftsinformatiker zu erzielen. Nach dem erfolgreichen Abschluss im April 2004 verrichtete er seine ursprüngliche Tätigkeit in der Bankfiliale bis zu dem Überfall wieder vollschichtig. Aktuell bewohnt er eine Wohnung im Haus der Eltern, ist ledig und kinderlos. Seinen Haushalt, einschließlich kochen und waschen, versorgt seine Mutter für ihn.

Zu dem Tathergang des Banküberfalls vom 7. Oktober 2004 stellte das Landgericht Stuttgart (Az.: 9 Ks 13 Js 28691/04) folgendes fest:

Der Täter, ein dem Kläger aus dem Ort bekannter Bäckermeister, ging davon aus, dass dieser an dem Nachmittag alleine in der Bank sein werde und hatte sich entschlossen, diesem unmaskiert gegenüber zu treten und ihn zu töten. Er passte den Kläger nach der Mittagspause ab und folgte ihm in die Bank. Er dirigierte diesen mit vorgehaltener Pistole in den Kassenraum und zwang ihn, den Tresor zu öffnen, wobei er ihm die Pistole an den Kopf hielt. Um sich die Beute von circa 33.500 € zu sichern und den Tatzeugen zu beseitigen, zwang er den Kläger sich hinzuknien und schlug ihm mit der Unterseite des Griffs der Pistole mindestens fünf Mal mit voller Wucht von oben auf den Kopf. Da der Kläger das Bewusstsein nicht verlor, versetzte ihm der Täter weitere wuchtige Schläge mit dem Pistolengriff auf den Kopf, bis dieser schließlich mit einer handtellergroßen Trümmerfraktur des Schädels wie weiteren Brüchen im Augenbereich und Kontusionen des Hirngewebes stark blutend nach insgesamt 12 heftigen Schlägen zusammensackte. Es gelang ihm dennoch, dem Täter einen Fußtritt zu verpassen und in den Toilettenraum zu flüchten. Bei der anschließenden Flucht des Täters traf dieser auf ein Rentnerehepaar, das die Bank betrat. Er zerrte den Rentner über einen Stuhl, setzte ihm die Pistole ins Genick und drückte ab, wodurch dieser, nachdem die Kugel wieder austrat, nur lebensgefährlich verletzt wurde. Anschließend schoss er der Rentnerin zweimal ins Gesicht, die binnen Sekunden sofort starb, danach flüchtete er. Die beiden Schwerverletzten wurden durch Notoperationen gerettet und identifizierten noch am Tatort „den Bäcker“ als Täter, bei dem bei der anschließenden Durchsuchung mehr als 20.000 € sichergestellt wurden. Eine Blutspur in dessen Auto stammte mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Kläger, ebenso DNA-Spuren auf einem Geldschein.

Der Täter wurde zunächst mit Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 21. April 2006 freigesprochen, nachdem ein Nachbar dem Täter ein Alibi gab, er habe ihn zur Tatzeit auf der Straße gesehen und gegrüßt. Das Urteil wurde auf die Revision vom Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 22. Mai 2007 mit den Feststellungen aufgehoben und an eine Schwurg...

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