Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. freiwilliges Mitglied. Beitragsbemessung. selbständige Erwerbstätigkeit. Hauptberuflichkeit. Nachweis der Einkünfte. übermittelte Angabe der Finanzverwaltung in Ausnahmefällen ausreichend. Verfassungsmäßigkeit der Berücksichtigung von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Kapitalvermögen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine selbständige Erwerbstätigkeit ist als hauptberuflich iSd § 240 Abs 4 S 2 SGB 5 zu werten, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her andere Tätigkeiten des versicherten Mitglieds (zB unselbständige Erwerbstätigkeit, Haushaltsführung, Ausbildung) zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt.
2. Der Nachweis der Einkünfte bei einem freiwillig Versicherten kann grundsätzlich allein durch Vorlage von Einkommenssteuerbescheiden geführt werden. Ausnahmsweise können auch Angaben genügen, die der Krankenkasse vom Finanzamt mitgeteilt wurden.
Orientierungssatz
Soweit bei der Beitragsbemessung von freiwillig Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung auch Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden, bestehen dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
SGB V § 240 Abs. 4 S. 2, Abs. 1, 2 S. 1, § 46 Abs. 2 S. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 5; Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler § 6 Abs. 3 S. 3 Nr. 1; Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler § 6 Abs. 5; SGB XI § 20 Abs. 3, § 54 Abs. 2; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; SGG § 69 Nr. 2
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 02.12.2011 abgeändert und der Bescheid der Beklagten zu 1) vom 25.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2010 insoweit aufgehoben, als für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.10.2010 Beiträge zur Krankenversicherung von mehr als 470,70 € und zur Pflegeversicherung von mehr als 72,41 € monatlich festgesetzt werden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Berechnung seiner Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge im Zeitraum 01.12.2009 bis 31.10.2010.
Der 1959 geborene Kläger war vom 01.10.1990 bis 30.06.2011 als Rechtsanwalt bei der beklagten Krankenkasse freiwillig versichert. Auf ein Amtshilfeersuchen der Beklagten zu 1) teilte das Finanzamt M.-Stadt mit Schreiben vom 26.01.2009 die Einkünfte des Klägers für die Jahre 2001 bis 2007 mit. Für 2007 lagen danach Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 9.000,00 €, aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 19.100,00 € und aus Kapitalvermögen in Höhe von 11.399,00 € vor. Mit weiterem Schreiben vom 23.02.2009 teilte das Finanzamt ua mit, die Steuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2007 seien am 19.12.2008 ergangen. In der Folgezeit äußerte der Kläger im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens wegen seiner Beitragsrückstände mit Schreiben vom 05.06.2009, hinsichtlich der Steuerbescheide seien beim Finanzgericht Stuttgart Klageverfahren anhängig, da die Schätzungsgrundlagen willkürlich gewählt worden seien. Von der Beklagten sei daher eine eigenständige Beitragseinstufung durchzuführen. Mit weiterem Schreiben vom 28.10.2009 an die Beklagte zu 1) machte der Kläger geltend, er sei nicht damit einverstanden, dass die monatlichen Beiträge auf Basis der Beitragsbemessungsgrenze erhoben würden. Mit Schreiben vom 05.11.2009 verwies die Beklagte den Kläger darauf, dass im Falle einer freiwilligen Versicherung für die Beitragsberechnung lediglich der Einkommensteuerbescheid herangezogen werden könne, unabhängig davon, ob dieser beim Finanzamt angefochten werde. Werde nachträglich ein abgeänderter Steuerbescheid vorgelegt, würden die Beiträge korrigiert. In den letzten Jahren habe der Kläger lediglich formlose Erklärungen beigebracht, weshalb im Rahmen der Amtshilfe das zuständige Finanzamt bemüht worden sei. Wenigstens die Steuerbescheide der Jahre 2005 bis 2007 müssten vorliegen, weshalb diese bis 15.11.2009 vorzulegen seien. Im Übrigen bleibe eine rückwirkende Beitragsnachforderung vorbehalten, denn die vom Kläger bislang aufgeführten und die vom Finanzamt mitgeteilten Einnahmen lägen unverhältnismäßig auseinander.
Mit Bescheid vom 25.11.2009, der keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, setzte die Beklagte zu 1) - auch im Namen der Beklagten zu 2) - Höchstbeiträge aus der Beitragsbemessungsgrenze von 3.675,00 € monatlich fest. Für die Krankenversicherung ergab sich daraus ein monatlicher Beitrag von 525,53 € und für die Pflegeversicherung von 80,85 €, insgesamt 606,38 € ab 01.12.2009. Die Beklagte zu 1) wies ausdrücklich darauf hin, eine rückwirkende Korrektur der Beitragshöhe zu prüfen, wenn der Kläger innerhalb eines Monats eine Kopie des letzten vorliegenden Einkommenssteuerbescheides und einen ausgefüllten unterschriebenen Fragebogen zurücksende. Nach Ablauf der Monatsfrist könne eine Anpassung der Beitragshöhe nur für...