Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen Bl. Blindheit. Sehstärke von 0,05. Beeinträchtigung der Gesichtsfeldmessung durch ausgeprägtes Augenzittern. Nichterweislichkeit
Leitsatz (amtlich)
Bei einem verbliebenen Visus von 0,05 und fehlender Nachweisbarkeit einer zusätzlichen erheblichen Sehstörung (hier: Gesichtsfeldausfall wegen eines ausgeprägten Nystagmus nicht genau feststellbar) können die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" nicht festgestellt werden.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24.04.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Zuerkennung des Merkzeichens Bl.
Die 2003 geborene Klägerin ist im Oktober 2015 mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern aus Syrien kommend in die Bundesrepublik eingereist. Sie ist hier als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt.
Die Klägerin leidet unter einem angeborenen Glaukom [Grüner Star] mit Gesichtsfeldausfällen und Myopie beidseits. Nach einem Bericht der Augenklinik des Städtischen Klinikums K vom 28.10.2015 ist sie hochgradig sehbehindert; ihr ebenfalls sehbehinderter Bruder gelte hingegen nach dem Gesetz als blind. Nach einem Bericht des Universitätsklinikums T vom 28.01.2016 bestand bei der Klägerin ein Visus von 0,05 (RA) bzw. 0,08 (LA).
Die Klägerin besucht eine Regelschule mit zusätzlicher integrativer Betreuung über eine Förderschulpädagogin. Sie ist für den Schulbesuch u.a. mit einer Tafelkamera und einem Laptop als Hilfsmittel ausgestattet.
Mit Bescheid vom 18.05.2017 stellte das Landratsamt Konstanz einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 wegen einer beidseitigen Sehminderung sowie die Merkzeichen G, B, H und RF fest.
Der Vater der Klägerin beantragte am 12.10.2018 die Erhöhung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens Bl. Auf Hinweis des Landratsamtes beantragte er für sie bei dem Landkreis vorsorglich auch Landesblindenhilfe.
Der behandelnde Augenarzt R empfahl auf Befundanfrage des Landratsamtes mit Schreiben vom 31.10.2018 die Einholung eines Gutachtens. Das Landratsamt zog ferner noch einen Befundbericht des Universitätsklinikums T. vom 08.11.2017 bei.
Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme von M vom 03.12.2018 ergab sich weiterhin ein GdB von 90 wegen der beidseitigen Sehminderung.
Mit Bescheid vom 11.12.2018 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen für einen höheren GdB lägen nicht vor. Auch lägen die erforderlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl nicht vor. Blind seien Personen, denen das Augenlicht vollständig fehle. Als blind seien auch Personen anzusehen, deren Sehschärfe auf keinem Auge - auch nicht bei beidäugiger Prüfung - mehr als 1/50 betrage oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorlägen. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Der Vater der Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein. Ihm sei zu Beginn des Verfahrens nicht bewusst gewesen, dass die Klägerin das Merkzeichen Bl benötige. Sie habe ein sehr eingeschränktes Sehvermögen und benötige Hilfsmittel für eine normale Teilhabe an alltäglichen Aktivitäten. Das Sehen im Nahbereich betrage 1 Meter und für das normale Lesen weniger als 10cm. Das rechte Auge sei erblindet.
Nach erneuter versorgungsärztlicher Stellungnahme von E vom 08.01.2019 verblieb es bei dem GdB von 90. Bei dem von dem Universitätsklinikum T mitgeteilten Visus von 1/15 rechts und 1/7,5 links seien die Kriterien für das Merkzeichen Bl (1/50 bzw. 0,02) nicht erfüllt, auch wenn das Sehen erheblich beeinträchtigt sei, wie es der GdB von 90 bereits ausdrücke.
Mit Widerspruchsbescheid von 01.03.2019 wies der Beklagte daher den Widerspruch zurück.
Mit ihrer am 18.03.2019 durch ihren Vater erhobenen Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) hat die Klägerin den Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens Bl weiterverfolgt. Sie hat einen Befundbericht des Universitätsklinikums T vom 17.07.2019 vorgelegt. Danach habe sich der Visus auf 0,025 (RA) und 0,05 (LA) etwas verschlechtert. Aufgrund der Sehminderung bestehe ein GdB von 100 mit den Merkzeichen RF, G, B und H. Das Schreiben diene auch zur entsprechenden Aktualisierung des Schwerbehindertenausweises.
Das SG hat R schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat mit Schreiben vom 12.08.2019 eine Sehschwäche gemäß WHO in Stufe I-III angegeben. Die Klägerin sei in höchstem Maße sehbeeinträchtigt nach WHO III-IV und auf die Hilfe Dritter angewiesen. Eine gutachterliche Aussage zur Frage der Blindheit sei ihm nicht möglich.
Der Beklagte hat darauf hingewiesen, dass ein GdB von 100 festgestellt werden könne. Hierzu sei aber ein Antrag erforderlich. Das Merkzeichen Bl könne weiterhin nicht festgestellt werden. Er hat sich hierfür auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von K vom 10.11.2019 gestützt, wonach die Befunde des Universitätsklinikums T bei einem ...