Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Kostenübernahme einer Montessori-Therapie. kein anerkanntes und verordnungsfähiges Heilmittel iS von § 32 SGB 5. kein Nachrang der Sozialhilfe. Beurteilung der Eignung einer heilpädagogischen Maßnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kosten für eine Montessori-Therapie können als Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung iS von § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12 iVm § 12 Nr 1 EinglVO (juris: BSHG§47V) zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören.
2. Die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für eine Montessori-Therapie ist nicht bereits deshalb durch den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe im Hinblick auf eine Zuständigkeit der Schule ausgeschlossen, weil die Montessori-Therapie auch pädagogische Elemente enthält. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Maßnahme dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer iS des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule zuzuordnen ist; auch unter Berücksichtigung der Änderung der schulrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit einer zunehmenden integrativen Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher kann daneben ein ergänzender Eingliederungsbedarf bestehen.
Orientierungssatz
1. Die Montessori-Therapie ist kein anerkanntes und verordnungsfähiges Heilmittel iS von § 32 SGB 5.
2. Bei der Beurteilung der Eignung der heilpädagogischen Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nach § 12 Nr 1 EinglVO (juris: BSHG§47V) besteht keine Bindung an den Maßstab allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis (vgl BVerwG vom 30.5.2002 - 5 C 36/01 = NVwZ-RR 2003, 43). An diesem individuellen Prüfungsmaßstab hat sich auch mit den Neuregelungen des Rehabilitations- und Teilhaberechts nach dem Inkrafttreten des SGB 9 nichts geändert; nach wie vor knüpft die Möglichkeit einer Förderung auch an die (individuell zu bestimmende) "Aussicht" auf Erfolg an (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R = FEVS 61, 433).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Oktober 2008 wie folgt abgeändert und teilweise neugefasst:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 30. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2006 verurteilt, der Klägerin Kosten für die bereits durchgeführte Montessori-Therapie in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2006 in Höhe von 1.181,50 Euro zu erstatten.
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten einer Montessori-Therapie in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2006 im Wege der Eingliederungshilfe.
Die am … 1998 in Vietnam geborene Klägerin kam im Alter von drei Monaten als Adoptivkind nach Deutschland. Sie besuchte zunächst den Regelkindergarten und erhielt wegen ihrer sprachlichen Schwierigkeiten seit Juni 2001 Logopädie und zusätzlich ambulante Sprachtherapie im Sprachheilzentrum R.. In der Zeit vom 14. Juli 2003 bis zum Ende der Kindergartenzeit gewährte der Beklagte der Klägerin Eingliederungshilfe für eine Stunde Montessori-Einzeltherapie pro Woche.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2005 beantragten die Eltern der Klägerin die Fortführung der Therapie auch über den Eintritt in die Grundschule in V., einer Regelschule, zum Schuljahr 2005/2006 hinaus bei erhöhter wöchentlicher Stundenzahl sowie durch Begleitung der Klägerin durch die Montessori-Therapeutin im Unterricht. In diesem Zusammenhang wurden dem Beklagten mehrere Unterlagen vorgelegt:
Nach einem Bericht der Fachschulrätin F. vom Sprachheilzentrum R. vom 29. September 2004 besteht bei der Klägerin eine Sprachentwicklungsverzögerung, wobei die semantische, phonetisch-phonologische Ebene und der Bereich der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung besonders betroffen seien. Auch im Bereich der Konzentrationsfähigkeit, Anstrengungsbereitschaft und des Durchhaltevermögens seien Auffälligkeiten vorhanden. Die kognitiven Leistungen lägen gerade noch im Normbereich. Die Klägerin benötige für einen erfolgreichen Schulanfang eine Umgebung, die auf Sprechen und Hören ausgerichtet sei; zudem sei auch eine intensive Lernbegleitung notwendig.
In dem Bericht von Prof. Dr. Jo. und Dipl.-Psych. Hä. von der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie) in Ulm vom 25. Mai 2005 wurde bei der Klägerin eine ausgeprägte Sprachentwicklungsverzögerung, rezeptiv und expressiv, sowie eine auditive Gedächtnisschwäche diagnostiziert. Die Klägerin sei nach dortiger Sicht ein Kind für die Sprachheilschule; eine Regeleinschulung könne nur unter der Maßgabe befürwortet werden, dass dort (durch eine zusätzliche Lehrkraft/Integrationskraft, durch Inselunterricht und Binnendifferenzierung) für sie eine intensive, ...