Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Treppensteighilfe Scalamobil. Behinderungsausgleich

 

Orientierungssatz

Ein auf einen Rollstuhl angewiesener Versicherter, der im Hochparterre wohnt und seine Wohnung auch mit Unterstützung einer Hilfsperson nicht verlassen kann, hat einen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Treppensteighilfe (Scalamobil).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.09.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 06.09.2011 aufgehoben. Die Beklagten wird verurteilt, der Klägerin für die selbst beschaffte Treppensteighilfe 1.800,00 € zu erstatten.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von 1.800 €, die sie für die Anschaffung einer elektrischen Treppensteighilfe (Treppenfahrgerät - Scalamobil ) bezahlt hat.

Die 1943 geborene Klägerin, Mitglied der Beklagten, leidet an Multipler Sklerose (gesicherte Diagnose seit dem Jahr 2002). Wegen einer Verschlechterung dieser Erkrankung ist sie inzwischen auf die Nutzung eines Rollstuhls und eines Rollators angewiesen und mit diesen Hilfsmitteln auch versorgt, ferner für den Außenbereich nach dem Vergleich vom 26.09.2006 vor dem SG Heilbronn (Verfahren S 2 KR 4334/05) noch mit einem von der Beklagten mit 1000 € bezuschussten Therapiedreirad. Seit März 2011 ist ihr die Pflegestufe I zuerkannt. Die Klägerin bewohnt (nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung des Senats) mit ihrem Ehemann eine 1970 zunächst gemietete und 1993 zum Preis von 260.000 DM gemeinsam mit ihrem Ehemann erworbene, derzeit schuldenfreie Eigentumswohnung von 76 qm im Erdgeschoss/Hochparterre eines Mehrfamilienhauses. Zum Erreichen der Wohnung müssen von der Straße aus 2 Stufen (16 und 18 cm) zum Gartentor, sodann eine große Stufe (20,5 cm) zur Haustür und (innerhalb des Wohnhauses) weitere 6 Treppenstufen (17 cm) bis zur Wohnungstür überwunden werden.

Im Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 23.3.2011 ist (u.a.) ausgeführt, Besuche von Arztpraxen seien weniger als 1 mal wöchentlich notwendig. Die pflegerelevanten Räume lägen auf einer Ebene. Kosten für Fahrten zu Arzt- oder Physiotherapeutenpraxen oder zu Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen habe die Klägerin bislang nicht geltend gemacht. Frei Stehen und Gehen seien nicht möglich; stehen könne die Klägerin nur mit Festhalten. In der Rubrik “Treppensteigen„ und “Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung„ ist “K„ (Keine Unterstützung) angekreuzt. Empfohlen werde ein Toilettenstuhl, technische Hilfen und bauliche Maßnahmen (Wohnumfeld) würden nicht empfohlen.

Unter dem 24.5.2011 verordnete der Allgemeinarzt Dr. K. der Klägerin eine elektrische Treppensteighilfe der Marke “Scalamobil „. Der Ehemann der Klägerin ist in die Nutzung der Treppensteighilfe eingewiesen worden.

Die Treppensteighilfe (vgl. Nr. 18.65.01.1.009 des Hilfsmittelverzeichnisses) ist ein mobiles Treppensteiggerät für handbetriebene Rollstühle. Es kann von einer Begleitperson allein bedient werden, sofern diese rückwärts Treppensteigen und Gewichte von mindestens 10 kg heben kann und nicht selbst auf die Nutzung von Gehhilfen angewiesen ist. An dem Rollstuhl wird dauerhaft eine besondere Halterung angebracht, an der die Treppensteighilfe (als Zusatzgerät) mit wenigen Handgriffen befestigt wird. Hierfür müssen die großen Hinterräder des Rollstuhls abmontiert werden, sie werden nach dem Einsatz der Treppensteighilfe wieder anmontiert und die Treppensteighilfe wird von der Halterung am Rollstuhl abgenommen. Mit dem Einsatz der Treppensteighilfe kann der Rollstuhlfahrer vor und nach dem Treppensteigen im Rollstuhl sitzen bleiben; er muss nicht umsitzen. Außerhalb der Wohnung muss die Treppensteighilfe getrennt vom Rollstuhl zum Einsatzort gebracht werden, etwa in dem Fahrzeug, in dem die Begleitperson den Rollstuhlfahrer und den Rollstuhl transportiert. Der Rollstuhlfahrer selbst kann die Treppensteighilfe nicht allein bedienen. Die Bedienperson steht hinter dem Gerät und führt es. Die Anschaffungskosten einer Treppensteighilfe Marke “Scalamobil „ sollen nach dem Kostenvoranschlag vom 24.05.2011 ca. 4.566 € betragen; hinzukommen Kosten für Wartung, Sicherheitskontrollen, Akku-Wechsel und Reparaturen.

Die Klägerin legte die Hilfsmittelverordnung des Dr. K. der Beklagten vor und beantragte die Gewährung der Treppensteighilfe als Sachleistung. Sie gab hierzu unter dem 10.6.2011 an, sie könne Wegstrecken mit dem Rollstuhl nicht allein zurücklegen; der Rollstuhl werde von ihrem Ehemann geschoben. Mit Hilfe einer Pflegeperson und ohne Treppensteighilfe könne sie im Winter 6 bis 8 und im Sommer 2 bis 3 Treppenstufen überwinden. Die Treppensteighilfe werde ihr Ehemann bedienen. Die Praxis ihres Hausarztes, die sich im ersten Obergeschoss des Praxisgebäudes befin...

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