Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Einbeziehung neuer Bescheide nach Klageerhebung. Arbeitslosenhilfebewilligungen für weitere Bewilligungsabschnitte. analoge Anwendung des § 96 Abs 1 SGG. Änderung des Vierten Abschnitts des SGG durch das SGGÄndG 6. Kostenfreiheit bzw -pflichtigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. § 96 SGG kann in gerichtskostenfreien Verfahren nicht anders ausgelegt werden als in gerichtskostenpflichtigen Verfahren. Die bisherige Praxis der Einbeziehung von Folgebescheiden führt bei gerichtskostenpflichtigen Verfahren zu einer unkalkulierbaren Erhöhung des Kostenrisikos. Die Vorschrift ist deswegen restriktiv auszulegen.
2. Gegenstand eines Rechtsstreits um höhere Arbeitslosenhilfe sind deswegen nur die Bescheide, über die im Widerspruchsbescheid entschieden worden ist. Später ergehende Folgebescheide werden weder durch direkte noch durch analoge Anwendung von § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Klage- oder Berufungsverfahren.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Januar 2002 wird verworfen.
Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabbemessung der ihr bewilligten Arbeitslosenhilfe, wobei zunächst zu entscheiden ist, ob die Berufung der Klägerin zulässig ist.
Die 1945 geborene Klägerin war zuletzt vom 1.2.1989 bis 30.9.1996 als "Koordinator Dokumentation" beschäftigt und erhielt in den Monaten April 1996 bis September 1996 ein Bruttoarbeitsentgelt von insgesamt DM 38.520,00 bei einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. Die Klägerin kündigte am 3.6.1996 zum 30.9.1996 das Arbeitsverhältnis und meldete sich am 19.9.1996 beim Arbeitsamt Reutlingen (AA) mit Wirkung zum 1.10.1996 arbeitslos. Im Antrag bejahte sie die Frage, ob sie die Tätigkeit aus ihrer letzten Beschäftigung weiterhin ausüben könne. Gegenüber dem AA verwies sie in einer Erklärung zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auf ein Attest des Arztes für Innere Medizin Dr. W vom 24.9.1996, der bestätigte, die Klägerin sei als Folge der durch die Arbeitsbedingungen ausgelösten, extremen psychischen Belastungen nicht in der Lage, ihre bisherige Arbeit zu erfüllen.
Das AA bewilligte der Klägerin ab 1.10.1996 Arbeitslosengeld in Höhe von DM 470,40 wöchentlich (Bemessungsentgelt DM 1.480,00; Leistungssatz 60%; Leistungstabelle 1996; Leistungsgruppe A; Kindermerkmal 0; Bescheid vom 10.10.1996). Sie bezog -- unterbrochen durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit mit Bezug von Krankengeld vom 21.7.1998 bis 1.11.1998 -- Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 12.3.1999. Der wöchentliche Leistungssatz betrug zuletzt DM 466,90 (Bemessungsentgelt DM 1.500,00; Leistungssatz 60%; Leistungstabelle 1999; Leistungsgruppe A; Kindermerkmal 0; Bescheid vom 8.1.1999). Ab 13.3.1999 bewilligte das AA der Klägerin Arbeitslosenhilfe unter Anrechnung eines Betrages von wöchentlich DM 7,47 in Höhe von DM 404,95 wöchentlich (Bemessungsentgelt DM 1.500,00; Leistungssatz 53%; Leistungstabelle 1999; Leistungsgruppe A; Kindermerkmal 0; Bewilligungsabschnitt bis 12.3.2000; Bescheid vom 23.3.1999). Ab 1.1.2000 betrug der wöchentliche Leistungssatz nach Anpassung an die Leistungstabelle 2000 DM 410,83 (Bescheid vom 7.1.2000).
Für den ab 13.3.2000 laufenden Bewilligungsabschnitt bewilligte das AA der Klägerin, die vom 6.3.2000 bis 7.4.2000 arbeitsunfähig war, unter Anrechnung eines Betrages von DM 4,55 Arbeitslosenhilfe in Höhe von DM 385,21 (Bemessungsentgelt DM 1.350,00; Leistungssatz 53%; Leistungstabelle 2000; Leistungsgruppe A; Kindermerkmal 0; Bescheid vom 21.3.2000).
Das AA verminderte das Bemessungsentgelt um 10%, was der Klägerin telefonisch und in einer Erläuterung zu dem Bewilligungsbescheid mit Schreiben vom 17.3.2000 mitgeteilt wurde. Gegen den Bewilligungsbescheid vom 21.3.2000 erhob die Klägerin Widerspruch. In ihrer Person gebe es weder gesundheitliche noch berufliche Gründe für eine Herabstufung der Arbeitslosenhilfe. Den Widerspruch der Klägerin wies die Widerspruchsstelle des AA zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.5.2000) mit der Begründung, die Klägerin könne das der Bemessung des Arbeitslosengeldes zu Grunde gelegte Entgelt nicht mehr erzielen, weil sie bereits über 3,5 Jahre arbeitslos sei und es in dieser Zeit nicht gelungen sei, die Arbeitslosigkeit durch eine adäquate Beschäftigung zu beenden. Der Bemessung der Arbeitslosenhilfe sei deshalb das Bemessungsentgelt zu Grunde zu legen, das einer Beschäftigung entspreche, die von ihr noch unter realistischen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt ausgeübt werden könne. Auf Grund langjähriger Arbeitslosigkeit, Qualitätsverlust und geringen Vermittlungschancen sei bei der Klägerin von einer Reduzierung des Leistungsvermögens um mindestens 10% auszugehen. Dies entspreche einem Bruttoverdienst von DM 5.850,00 monatlich.
Die Klägerin hat...