Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgung eines behinderten Jugendlichen mit einem Speedy-Tandem zu Lasten der Krankenversicherung
Orientierungssatz
1. Bei einem Speedy-Tandem handelt es sich um eine Rollstuhl-Fahrrad-Kombination, bei der der vorhandene Rollstuhl über einen Kupplungs-Mechanismus mit einem Zugfahrrad verbunden wird. Es ist von der Krankenkasse als Hilfsmittel nach § 33 Abs. 1 SGB 5 dann dem Versicherten zur Verfügung zu stellen, wenn es erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder um einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder um eine Behinderung auszugleichen.
2. Die Krankenkasse ist im Rahmen der Hilfsmittelversorgung innerhalb der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens nur zu einem Basisausgleich verpflichtet. Das Radfahren als spezielle Art der Fortbewegung ist vom BSG nicht als Grundbedürfnis anerkannt.
3. Bei einem Jugendlichen kann nach der Rechtsprechung des BSG das Speedy-Tandem dann als Hilfsmittel dienen, wenn es im Einzelfall zu dessen Integration erforderlich ist.
4. Allerdings besteht eine Leistungspflicht der Krankenkasse bei einem Jugendlichen dann nicht, wenn dessen Möglichkeiten zur Integration in den Kreis Gleichaltriger durch die Teilnahme am Schulunterricht und das dort ermöglichte Zusammensein mit gleichaltrigen Jugendlichen gewährleistet ist.
5. Der Einsatz eines Hilfsmittels zu Freizeitaktivitäten zählt nicht zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 01.08.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für ein Speedy-Tandem in Höhe von 3.750,-- €.
Der am ... 1996 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet seit seiner Geburt an einer beinbetonten bilateralen spastischen Tetraparese, einem selektiven Mutismus, einer hochgradigen Kurzsichtigkeit und einer schweren allgemeinen Entwicklungsstörung. Bei ihm wurde ein Grad der Behinderung von 100 anerkannt. Er erhält Leistungen der Pflegestufe III. Der Kläger lebt mit seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern zusammen und besitzt einen Aktivrollstuhl, ein Rollstuhlzuggerät und ein Therapiefahrrad. Er besucht eine Blinden-und Sehbehindertenschule in B.
Am 07.09.2010 beantragte der Kläger die Versorgung mit einem Speedy-Tandem HMV-Nr. 18.51.03.005. Er legte hierzu eine Hilfsmittelverordnung der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dres. R und W vom 07.04.2011 sowie einen Kostenvoranschlag über einen Betrag von 6.883,42 € vor. Bei dem Speedy-Tandem handelt es sich um eine Rollstuhl-Fahrradkombination, bei der der vorhandene Rollstuhl über einen Kupplungsmechanismus mit einem Zugfahrrad verbunden wird. Auf der Hilfsmittelverordnung ist vermerkt, dass das verschriebene Speedy-Tandem zur sozialen Integration in das Familienleben und in die Gesellschaft Gleichaltriger erforderlich sei. Vorgelegt wurden ferner verschiedene Befundberichte sowie ein Schreiben der S-Rehatechnik GmbH, in dem die Notwendigkeit der Versorgung mit dem Speedy-Tandem dahingehend begründet wurde, dass der Kläger und seine Eltern aufgrund der Behinderung des Klägers von vielen familiären und gesellschaftlichen Ereignissen ausgeschlossen blieben. Mit dem Speedy-Tandem könne die Familie gemeinsame Unternehmungen durchführen. Neben dieser sozialen Integration profitiere der Kläger von den wechselnden Informationen, Eindrücken und der Bewegung.
Die Beklagte teilte der Mutter des Klägers mit Schreiben vom 16.09.2010 mit, sie habe den Antrag an das Landratsamt Bodenseekreis als Träger der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung weitergeleitet, da der freizeitliche Aspekt im Vordergrund stehe.
Mit Schreiben vom 22.03.2011 und 12.04.2011 führte die Mutter des Klägers aus, sie halte die Beklagte für den zuständigen Kostenträger für das Speedy-Tandem. Die bereits verordneten Hilfsmittel (Aktivrollstuhl, Rollstuhlzuggerät und Therapiefahrrad) entsprächen nicht den Vorgaben des 8. Senats des Bundessozialgerichts. Der 8. Senat habe ein Bedürfnis nach regelmäßigen Fahrradausflügen in der Familie einschließlich der damit verbundenen Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raumorientierung anerkannt. Weiterhin verwies die Mutter des Klägers auf eine Entscheidung des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 27.01.2005 (L 16 KR 137/03). Der Kläger könne aufgrund seines selektiven Mutismus nur schwer Kontakt zu seiner Umwelt und seinen Mitmenschen aufnehmen. Wenn die Familie Fahrrad fahre, könne er nicht mitfahren, sondern müsse mit einem Elternteil zu Hause bleiben. Mit dem Speedy-Tandem und den gemeinschaftlichen Fahrradausflügen mit seinen Brüdern und ggf. Freundeskreis werde die Integration und sein Verständnis zur Umwelt, seine Wahrnehmung von Geschwindigkeit, Berührung und Geräuschen verbessert. Im Rahmen einer dreiwöchigen Erprobung seien gute Erfahrungen gemacht worden. Nach ein paar Ausflügen habe er Kontakt mit seinen Mitmenschen ges...