Entscheidungsstichwort (Thema)

Sanktionierung. Verletzung von Abrechnungsvorschriften. Rabattarzneimittel. Pharmazentralnummer. Bestimmtheitsgrundsatz. Herstellung von Benehmen. Verhältnismäßigkeit. Retaxation auf Null

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 11 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 SGB V idF vom 1.2.2011 ist als Rechtsgrundlage für die Geltendmachung einer Vertragsstrafe gegenüber einer Apothekerin ausreichend bestimmt.

2. Das nach dem Rahmenvertrag erforderliche Benehmen mit dem für die Apothekerin zuständigen Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes erschöpft sich nicht in einer bloßen Anhörung, sondern verlangt ein Eingehen auf die Belange der Apothekerseite, die von dem Willen getragen ist, Differenzen nach Möglichkeit auszugleichen. Bemühungen des Landesverbandes der Krankenkassen zur Ausräumung von Differenzen sind allerdings nicht mehr erforderlich, wenn sich der Stellungnahme des Apothekerverbandes entnehmen lässt, dass dieser nicht mehr auf einer nochmaligen Kontaktierung besteht.

3. Wird das bei der Apotheke vorgelegte Rezept mit einer Pharmazentralnummer (PZN) bedruckt, die nicht dem abgegebenen Arzneimittel entspricht, und wird dieses Rezept zur Abrechnung bei der Krankenkasse eingereicht, liegt eine gravierende Pflichtverletzung der Apothekerin vor, die grundsätzlich mit der Verhängung einer Vertragsstrafe geahndet werden kann. Eine bloße Verwarnung ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht mehr ausreichend.

4. Beruhen die als grob fahrlässig zu bewertenden Pflichtverletzungen alle auf denselben unzureichenden organisatorischen Vorkehrungen in der Apotheke, ist eine Staffelung der Vertragsstrafe nach der Anzahl der eingereichten Verordnungen (Rezepte) nicht angemessen.

5. Ist das Verlangen nach einer Vertragsstrafe deshalb nicht begründet, weil die konkrete Höhe der Vertragsstrafe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspricht, setzt das Gericht die Höhe der Vertragsstrafe analog § 319 BGB nach billigem Ermessen fest.

6. Bei einer Festlegung der Vertragsstrafe durch das Gericht stehen der Krankenkasse bzw ihrem Verband weder Verzugs- noch Prozesszinsen zu.

 

Normenkette

SGB V § 129 Abs. 4 S. 1, § 69 Abs. 1 S. 3; BGB § 319 Abs. 1 S. 2, §§ 278, 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1, § 291

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 20.01.2015 verurteilt, an die Klägerin 1.000,00 € zu zahlen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen tragen die Beklagte und die Klägerin je zur Hälfte.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.560 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Vertragsstrafe iHv 6.560 €.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, deren Zuständigkeitsbereich sich nach § 1 Abs 2 ihrer Satzung auf das Gebiet des Landes Baden-Württemberg erstreckt. Zwischen ihr und einem pharmazeutischen Hersteller galt ab 01.06.2011 ein Rabattvertrag nach § 130a Abs 8 SGB V für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Metoprolol. Da das pharmazeutische Unternehmen in den ersten Monaten nach Vertragsbeginn Arzneimittel mit diesem Wirkstoff (Metoprolol Succinat Beta 47,5 und Metoprolol Succinat Beta 95) nicht liefern konnte, wurde zwischen den Allgemeinen Ortskrankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) vereinbart, dass die Apotheken im Geltungsbereich des Rabattvertrages im Zeitraum vom 01.06. bis zum 31.08.2011 andere als die rabattierten Arzneimittel abgeben konnten, ohne eine Retaxierung ihrer Vergütung befürchten zu müssen (sog Friedenspflicht).

Die Beklagte ist Inhaberin einer Apotheke und Mitglied des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg e.V. (LAV). Sie rechnete im Juni und Juli 2011 zulasten der Klägerin im Rahmen der Arzneimittelversorgung die Arzneimittel Metoprolol Succinat Beta 47,5 und Metoprolol Succinat Beta 95, die Gegenstand des Rabattvertrages waren, ab, obwohl diese Medikamente in den Monaten Juni und Juli 2011 noch gar nicht lieferbar waren. In dieser Zeit gab die Beklagte in insgesamt 44 Fällen an Versicherte der Klägerin andere Präparate ab. Gleichwohl bedruckte sie die entsprechenden Kassenrezepte mit der Pharmazentralnummer (PZN) der vom Rabattvertrag erfassten Präparate, legte diese Rezepte bei der Klägerin zur Abrechnung vor und erhielt dementsprechend die Vergütung. Vergleichbare Vorfälle gab es in einer Vielzahl von Apotheken (rund 1.200).

Die Beklagte gab später zur Erläuterung an, sie habe seinerzeit noch mit einer alten Computersoftware gearbeitet. Diese habe die vorgelegten Kassenrezepte mit der PZN bedruckt, bevor die Verfügbarkeit des ärztlich verordneten Medikaments überprüft worden sei. Es sei dann wohl versehentlich versäumt worden, die PZN manuell unter Angabe der PZN des tatsächlich abgegebenen Arzneimittels abzuändern. Ein solches Versehen könne insbesondere bei großem Kundenandrang vorkommen und sei auch bei sorgfältiger Systemüberwachung nicht gänzlich ausgesch...

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