Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Versagung wegen Verletzung von Mitwirkungs- bzw Auskunftspflichten. Ermessensausübung. Begründung des Verwaltungsaktes. Ermessensreduzierung. Bedarfsgemeinschaft. Einstehensgemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ablehnung von Leistungen wegen fehlender oder unzureichender Mitwirkung steht im Ermessen des Leistungsträgers. Die für seine Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen sich aus der Begründung des Bescheides entnehmen lassen. Fehlt eine entsprechende Angabe, ist der Bescheid wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig.
2. Eine Ermessensreduzierung auf nur eine mögliche Entscheidung kann nur angenommen werden, wenn dem Leistungsträger keine anderweitigen Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, mit denen er den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufklären kann (hier: Durchsetzung der Auskunftspflicht des Partners der vom Träger angenommenen Verantwortungsgemeinschaft iS von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 aus § 60 Abs 4 SGB 2).
Orientierungssatz
Gemäß § 54 Abs 2 S 2 SGG dürfen die Gericht nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl § 39 Abs 1 S 1 SGB 1) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet haben, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13. März 2006 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2005 aufgehoben. Die Bescheide vom 29. Mai 2006 und 9. Februar 2007 werden aufgehoben.
Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung versagt hat.
Der am ... 1969 geborene Kläger und die am ... 1961 geborene Sabine K. (K.) mieteten zum 14. Februar 2002 gemeinsam eine Fünfeinhalbzimmerwohnung (130 m², EG, Kaltmiete 720,00 € zuzüglich 100,00 € Nebenkosten) in R.. In die Wohnung zogen zunächst auch die beiden Töchter von K. ein, die am ... 1984 geborene Tina und die am ... 1986 geborene Helen. Im Jahr 2004 mietete K. für ihre Töchter im Dachgeschoss des gleichen Hauses eine Dreizimmerwohnung an. Der Kläger und K. verblieben in der Erdgeschosswohnung.
Der Kläger ließ sich am 29. April 2005 ein Antragsformular für Leistungen nach dem SGB II aushändigen, welches am 14. Juni 2005 ausgefüllt bei der Beklagten einging. Der Kläger gab an, gemeinsam mit K. und deren Töchtern in einem Haushalt zu leben. Er führte ergänzend aus, bislang keine Anspruchsvoraussetzungen erkannt zu haben, daher werde der Antrag verspätet gestellt. Er lebe seit Februar 2002 mit seiner Freundin zusammen, die selbst erwerbstätig sei und eigenes Einkommen erhalte. Mit Schreiben vom 7. Juli 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, zur Entscheidung über den Antrag seien noch Unterlagen vorzulegen, insbesondere auch betreffend K. Dem Kläger wurde Frist zur Mitwirkung bis 24. Juli 2005 gesetzt, die Versagung der Leistung wurde für den Fall der fehlenden Mitwirkung angekündigt. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass seine Freundin nicht bereit sei, Auskunft über ihre Vermögensverhältnisse zu geben. Mit Bescheid vom 2. August 2005 versagte die Beklagte Leistungen nach dem SGB II ab 29. April 2005. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen Unterlagen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von K. nicht vorgelegt. Dadurch sei er seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und habe die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Falls der Kläger die Mitwirkung noch nachhole, werde geprüft, ob die Leistungen ganz oder teilweise nachgezahlt werden könnten.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 11. August 2005, welchem er eine Zusatzerklärung von K. beilegte. Hierin führte diese aus, dass sie unterstützende Zahlungen an den Kläger ausschließlich in Form von Krediten geleistet habe und leisten werde. Sie sei mit ihm rein freundschaftlich liiert und betrachte diese Beziehung nicht als Verpflichtung, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Vielmehr stünden die beiden in Ausbildung befindlichen Töchter im Vordergrund. Die Beklagte ließ durch ihren Außendienst einen unangemeldeten Hausbesuch durchführen. Laut Protokoll gab der Kläger bei dieser Gelegenheit an, mit K. in partnerschaftlicher Beziehung zu leben. Da diese vorrangig für ihre Kinder aufkomme, müsse er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Eine gemeinsame Haushaltskasse sei nicht vorhanden. Er finanziere gemeinsame Versicherungen, dafür übernehme K. die Kosten für die Verpflegung. Im Erdgeschoss befänden sich Wohnzimmer, Esszimmer, Bügelzimmer, zwei Büroräume, Küche und Bad sowie ei...