Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines Bescheides über die Gewährung einer Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen unterbliebener Anrechnung einer Versichertenrente. grob fahrlässig falsche Angaben. Rentenantragstellung durch eine dritte Person. Ermessen. unterbliebener Datenabgleich
Leitsatz (amtlich)
Grob fahrlässig falsche Angaben (hier: Verschweigen einer eigenen Versichertenrente bei Antragstellung auf Witwenrente) liegen auch dann vor, wenn eine dritte Person das Antragsformular ausfüllt und die Versicherte dies "blind" unterschreibt. Im Rahmen des Ermessens ist nicht zugunsten der Versicherten einzustellen, dass die Beklagte keinen Datenabgleich mit einem anderen Versicherungsträger vorgenommen hat.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.06.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die teilweise Rücknahme und Erstattung überzahlter Witwenrente im Streit.
Die 1951 geborene Klägerin war von 1999 bis zu seinem Tod 2017 mit dem bei der Beklagten rentenversicherten F1 (im Folgenden: der Versicherte) verheiratet (s. Antrag Bl. 6 ff. VA Falz 1). Sie bezieht seit Juli 2014 eine eigene Versichertenrente von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV BW, Bl. 19 VA Falz 2).
Am 08.08.2017 suchte die Klägerin die Rentenstelle der Beklagten in R1 auf und stellte mithilfe des dortigen Versichertenberaters R2 einen Antrag auf Witwenrente (Bl. 6 ff. VA Falz 1). Im Rahmen dieses Termins bestätigte sie mit ihrer Unterschrift auf der Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente/Erziehungsrente - Angaben zum Einkommen - R0660 (im Folgenden: Anlage R0660, Bl. 14 ff. VA Falz 1), dass sie keinerlei Einnahmen habe, insbesondere auch keine aus Arbeitseinkommen (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit) oder dauerhaftem Erwerbsersatzeinkommen -, wobei in Nr. 7.1 der Anlage R0660 ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass hierzu u.a. auch eine Rente aus eigener Versicherung zählt.
Mit Bescheid vom 05.12.2017 gewährte die Beklagte der Klägerin eine große Witwenrente ab dem 29.06.2017 in Höhe von monatlich 954,01 € (monatlicher Zahlbetrag 850,50 €, Bl. 73 ff. VA Falz 2), auf die sie kein Einkommen der Klägerin anrechnete. Auf Seite 3 dieses Bescheides wurde die Klägerin darüber belehrt, dass Erwerbseinkommen - namentlich Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbetrieb oder selbständiger Arbeit), vergleichbares Einkommen (zum Beispiel Abfindung oder Überbrückungsgeld vom Arbeitgeber) - und Erwerbsersatzeinkommen - namentlich u.a. Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung - Einfluss auf die Höhe der Rente haben könne und sie daher unverzüglich mitteilen müsse, wenn sie Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehe.
Aufgrund eines seitens der Beklagten im September 2019 durchgeführten Suchlaufs erhielt sie Kenntnis davon, dass die Klägerin eine Versichertenrente der DRV BW bezieht (Bl. 3 f. VA Falz 2). Mit Schreiben vom 01.11.2019 (Bl. 4 VA Falz 2) übersandte sie der Klägerin (erneut) die Anlage R0660 und forderte sie auf, diese ausgefüllt zurückzusenden. Die Klägerin füllte die Anlage R0660 daraufhin aus (Bl. 6 ff. VA Falz 2) und gab an, seit Januar 2009 Einkommen aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage zu haben. Hingegen verneinte sie wiederum, eine Rente aus eigener Versicherung zu beziehen.
Die Beklagte forderte die Klägerin im Hinblick auf das angegebene Einkommen aus dem Betrieb der Photovoltaik-Anlage sodann mit Schreiben vom 04.12.2019 auf, auch die Anlage zur Ermittlung des Einkommens für Anträge auf Hinterbliebenenrente (Anlage R0666) auszufüllen und an sie zurückzusenden (Bl. 16 VA Falz 2).
Am 02.12.2019 gingen sodann die seitens der Beklagten bei der DRV BW angeforderten Rentenzahldaten (Bruttorente im Juni 2017 1.446,82 €, ab Juli 2017 1.474,38 €, ab Juli 2018 1.521,90 €, ab Januar 2019 1.601,97 €, ab Juli 2019 1.652,99 €) ein (Bl. 18 VA Falz 2). Im Juni 2020 teilte die DRV BW der Beklagten außerdem mit, dass die monatliche Rente der Klägerin ab Juli 2020 1.710,- € betragen werde (Bl. 33 VA Falz 2).
Mit Schreiben vom 11.02.2020 (Bl. 20 VA Falz 2) und vom 12.03.2020 (Bl. 21 VA Falz 2) erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Übersendung der Anlage R0666, woraufhin sie im April 2020 (Bl. 22 ff. VA Falz 2) ihre Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2016 bis 2018 (Bl. 25 ff. VA Falz 2) übersandte. Aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Jahr 2018 neben Renteneinkünften (erstmals) auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 30,- € hatte.
Mit Schreiben vom 08.06.2020 (Bl. 40 VA Falz 2) hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 05.12.2017 mit Wirkung ab dem 01.10.2017 nach § 45 Zehnte...