Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Beitragsfestsetzung. Friseurgewerbe. Schätzverfahren. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Der Lohnnachweis, der durch eine Schätzung von der BG aufgestellt wird, umfaßt zwangsläufig auch die - geschätzte - Anzahl der Beschäftigten, so daß sich die Möglichkeit der Schätzung auch auf die Feststellung der Kopfzahl iS des § 743 RVO erstreckt.
2. Ein im Rahmen des § 743 RVO durchgeführtes Schätzverfahren zur Ermittlung der Kopfzahlen (Beschäftigtenzahl) verstößt nicht gegen Artikel 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG und Art 14 Abs 1 GG.
3. Die Berücksichtigung der Kosten der Entschädigung von Berufskrankheiten (Hauterkrankungen) iS von Nr 5101 der Anl 1 zur BKVO gemäß § 551 Abs 1 RVO bei der Berechnung des Versicherungsbeitrages im Friseurhandwerk ist nicht zu beanstanden. Denn zum Gesamtbedarf gehören alle Kosten, die den BGn durch die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erwachsen, wozu auch die Gewährung von Leistungen (Renten, Übergangsleistungen ua) gehört. Insoweit handelt es sich um eine Entscheidung des Gesetzgebers, die keiner Verfassungsnorm widerspricht. Dies gilt auch für die Nrn 5101 und 5102 der Anl 1 der BKVO. Die Tatbestände sind auch hinreichend konkretisiert. Daß über den ursächlichen Zusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und dem Auftreten von Allergien aufgrund von medizinischen Beurteilungen unter Berücksichtigung des Kriteriums der Wahrscheinlichkeit entschieden wird, gehört im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zwangsläufig dazu. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht oder sonstige gesetzlichen Normen läßt sich hieraus nicht ableiten.
4. Zur Rechtmäßigkeit der Erhöhung des Betriebsmittelstocks bei der Beitragsberechnung nach § 724 Abs 1 RVO.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Unternehmerbeitrags für das Jahr 1993 streitig.
Bundesweit besteht bei der Beitragsfestsetzung 1993 für das Friseurgewerbe in der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) ein Streit über die Schätzung der Zahl der Vollzeitbeschäftigten, die Auffüllung des sogenannten Betriebsstocks und die hieraus resultierende Beitragserhöhung von ca. 57 % gegenüber 1992.
Die Kläger unterhielten vom 01.10.1986 bis 31.12.1996 einen Friseurbetrieb in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR). Mit Bescheid vom 27.04.1994 forderte die Beklagte von den Klägern als Beitrag der gesetzlichen UV für das Jahr 1993 einen Restbetrag von 3.155,97 DM. Ursache für den gegenüber dem Jahre 1992 erhöhten Beitrag war neben anderen Ursachen u.a. die sogenannte "Gemeinlast Ost". Der Widerspruch der Kläger hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.07.1994).
Hiergegen erhoben die Kläger am 12.08.1994 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart. Sie rügten u.a., die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten sei fehlerhaft ermittelt, die Erhöhung des Betriebsstocks und die hieraus mitresultierende Beitragserhöhung von ca. 57 % sei überhöht, was zu einem enteignungsgleichen Eingriff und einem Verstoß gegen das Gebot der Rechtssicherheit und des hieraus folgenden Vertrauensschutzes führe.
Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies hierzu u.a. auf den Bescheid des Bundesversicherungsamtes vom 03.08.1994, mit dem die für das Jahr 1993 am 13.04.1994 gefaßten Beschlüsse ihres Vorstands zur Ermittlung des Versicherungsbeitrages genehmigt worden waren, und auf ein Schreiben des Amtes vom 28.07.1994. Ferner übersandte sie das in einem Parallelrechtsstreit ergangene klagabweisende Urteil des SG Aachen vom 21.08.1995 (S 6 (10,1) U 31/92) sowie das gleichlautende Urteil des SG Frankfurt am Main vom 27.08.1996 (S-8/U-2704/94).
Das SG zog die Urteile des SG Frankfurt/M. vom 27.08.1996 (S 8 U 2704/94) und des SG Mainz vom 29.08.1996 (S 2 U 161/94) bei und erörterte im Termin vom 11.04.1996 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten. Dann wies das SG durch Urteil vom 02.10.1996 die Klage ab. Es stützte sich hierbei auf die Entscheidungsgründe der beigezogenen Urteile und vertrat ferner die Auffassung, ein wesentlicher Eingriff in Grundrechte durch die Beitragshöhe sei nicht erkennbar. Zu der sogenannten Altlast Ost führte es aus, ein gesetzgeberischer Mißbrauch lasse sich hier nicht feststellen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das am 09.01.1997 zugestellte Urteil haben die Kläger am Montag, den 10.02.1997 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt mit der -- zusammengefaßten -- Begründung, der streitbefangene Beitragsbescheid beruhe auf einer fehlerhaften Beitragsfestsetzung und sei deshalb rechtswidrig. Die Schätzungen der Beklagten beruhten auf erkennbar falschen und unzureichend ermittelten Zahlen, welche dann 1993 zu einer exorbitanten Beitragserhöhung geführt hätten. § 26 Abs. 3 i.V.m. § 21 der Satzung der Beklagten finde keine Rechtsgrundlage in der Reichsversicherungsordnung (RVO). Diese lasse es lediglich im Zusammenhang mit der Erstellung der Lohnnachweise gemäß § 743 RVO zu, gegebenenfalls ein Schätzverfahren durchzuführen...