Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Verweisbarkeit. massive Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand. immunsuppressive Medikation nach einer Lebertransplantation. unbefristete Rentengewährung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Versicherter kann nicht zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wenn er aufgrund einer immunsuppressiven Medikation (hier nach einer Lebertransplantation) häufigen und engen Kontakt mit Menschen meiden muss und zudem die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand nach einem Verlust der Finger 3 bis 5 und einer Teilamputation des Zeigefingers massiv eingeschränkt ist.
2. Ein Versicherter mit diesen Einschränkungen kann nicht zumutbar auf eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte verwiesen werden.
3. Kann - wie hier - eine Verweisungstätigkeit nicht benannt werden, besteht ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente unabhängig von der Arbeitsmarktlage.
4. Die Erwerbsminderungsrente ist nicht zu befristen, wenn feststeht, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes deshalb unwahrscheinlich ist, weil eine Befundänderung an der rechten Hand ausgeschlossen ist und die immunsupressive Medikation lebenslänglich eingenommen werden muss.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.06.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 23.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.08.2010 hinaus auf Dauer zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer bis 31.08.2010 befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1983 geborene Kläger ist gelernter Schreiner und war zuletzt bis 10.05.2006 als Schreinergeselle beschäftigt. An diesem Tag erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall. Er trennte sich mit einer Kreissäge den Mittelfinger, Ringfinger und Kleinfinger der rechten Hand (D 3 bis D 5) im Bereich des Grundgliedes ab, zudem durchschlug die Säge des Mittelglied des Zeigefingers, wo lediglich eine radiale Hautbrücke mit Restdurchblutung erhalten blieb. Der Versuch einer Replantation der Finger D 3 bis D 5 schlug fehl, nach Nekrosierung der reamputierten Finger erfolgte am 23.05.2006 deren Amputation. Der Kläger ist Rechtshänder. Im August 2006 kam es zu einem Leberversagen beim Kläger, am 28.08.2006 wurde eine Lebertransplantation durchgeführt. Seither erfolgt eine immunsuppressive Therapie mit dem Medikament Advagraf.
Der Arbeitsunfall wurde von der Holz-Berufsgenossenschaft anerkannt, die dem Kläger fortlaufend Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH (Bescheid vom 12.11.2009) leistet. Das Landratsamt K. hat einen Grad der Behinderung von 100 ab dem 07.03.2009 festgestellt (Bescheid vom 09.02.2010).
Am 19.09.2006 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger zunächst durch den Orthopäden Dr. Sch. ambulant untersuchen und begutachten, der in seinem Gutachten vom 09.02.2007 ausführte, am zweiten Finger sei das Endglied versteift, im Mittelglied liege nur eine minimale Restbeweglichkeit vor. Die rechte Hand könne nur noch zu einfachen Halte- und Fixierarbeiten eingesetzt werden. Bis jetzt sei bei dem Rechtshänder auch das Schreiben mit der rechten Hand nicht möglich. Bei der Begutachtung durch den Internisten Dr. M. (Gutachten vom 02.03.2007) klagte der Kläger über rasche Erschöpfung und Müdigkeit seit der Lebertransplantation. Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 07.03.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit beginnend ab 01.02.2007, zunächst befristet bis zum 30.11.2007. Mit Bescheid vom 23.11.2007 gewährte die Beklagte die Rente weiter bis zum 30.11.2008.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 06.08.2008 ließ die Beklagte den Kläger erneut durch den Internisten Dr. M. untersuchen. Der Kläger gab diesem gegenüber an, er spiele mittags mit seinen Kindern im Freien und bastle mit ihnen. Zudem arbeite er 45 Minuten täglich mit seinem Sohn in einem Lernbuch. Abends schreibe er Tagebuch und erledige schriftliche Papiere, wie etwa die Anwaltsschreiben (Gutachten vom 14.10.2008). Mit Bescheid vom 02.12.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger erneut Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 28.08.2009.
Im Rahmen des nachfolgenden Weitergewährungsantrags vom 23.12.2008 ließ die Beklagte den Kläger durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. untersuchen und begutachten. Mit Gutachten vom 23.04.2009 beschrieb dieser ein wegen vielschichtiger psychischer Probleme ganz erheblich reduziertes Leistungsvermögen des Klägers. Es bestehe keine ausreichende Belastbarkeit für eine Tätigkeit von nennenswert wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 19.05.2009 die Rente weiter bi...