Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. LKW-Fahrer ohne eigenen LKW. Auftragsverhältnis. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Versicherungspflicht eines LKW-Fahrers ohne eigenen LKW und ohne Erlaubnis nach § 3 GüKG oder Gemeinschaftslizenz nach Art 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr 1072/2009 (juris: EGV 1072/2009).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 3. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 11.227,48 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung einschließlich der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und der Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes, im Folgenden einheitlich Gesamtsozialversicherungsbeiträge, für den Zeitraum vom 29. April 2013 bis 18. Juni 2016 in Höhe von insgesamt 11.227,48 €, einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 2.471,00 €.

Die Klägerin, ein in der Rechtsform der Gesellschaft Bürgerlichen Rechts geführtes Speditionsunternehmen mit ca. 15 Beschäftigten im streitbefangenen Zeitraum, verfügte über mehrere Lkw und beschäftigte mehrere festangestellte Fahrer. Im Rahmen einer früheren Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2012 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 3. Februar 2015 fest, dass ein für die Klägerin tätiger Fahrer (im Folgenden G1) in einem näher bezeichneten Zeitraum aufgrund einer abhängigen Beschäftigung der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung unterlegen habe und erhob Gesamtsozialversicherungsbeiträge nach. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dieser verfüge nicht über die für die Durchführung des Gewerbes erforderliche Erlaubnis nach § 3 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) oder die Gemeinschaftslizenz nach Artikel 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 und habe keinen eigenen, sondern einen Lkw der Klägerin verwendet, woraus sich eine Eingliederung in deren Betrieb ergebe. Die Verfügungsmöglichkeiten des G1 über seine eigene Arbeitskraft seien damit deutlich eingeschränkt. Die Vergütung nach festen Tagessätzen mit 160,00 € täglich spreche gegen eine eigene Preiskalkulation. Dass G1 nur in Vertretungssituationen beauftragt worden sei und Aufträge habe ablehnen können, stehe einer abhängigen Beschäftigung nicht entgegen. Ein wirkliches Unternehmerrisiko sei bei G1 nicht erkennbar. Ebenfalls kein entscheidendes Kriterium für eine selbständige Tätigkeit sei die Tatsache, dass er im Prüfzeitraum auch für andere Auftraggeber tätig gewesen sei. Die nach erfolglosem Widerspruch hiergegen erhobene Klage nahm die Klägerin am 16. Februar 2017 zurück.

Der 1969 geborene Beigeladene zu 1 meldete zum 1. Dezember 1995 ein Gewerbe (EDV-Dienstleistungen und Landmaschinenverleih) an, dessen Inhalt er zum 2. Juli 2012 um „fahrerische Dienstleistungen“ neben der weiterhin betriebenen „Grün- und Gartenpflege“ erweiterte. In diesem Rahmen erbrachte er auch im streitbefangenen Zeitraum Leistungen der Friedhofspflege für eine Gemeinde, Garten- und Grünanlagenpflege für verschiedene Auftraggeber sowie Fahrerdienste für zwei weitere Transportunternehmen.

Ab dem 29. April 2013 bis zuletzt am 18. Juni 2016 war er für die Klägerin in unterschiedlichem zeitlichen Umfange und unterschiedlicher Häufigkeit im Rahmen von Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen als Lkw-Fahrer tätig. Im Juli und Oktober 2013, Februar, September, Oktober 2014, von Dezember 2014 bis Mai 2015 sowie im Januar 2016 war er nicht für die Klägerin tätig. Schriftliche Vereinbarungen wurden hierzu nicht getroffen, auch keine mündliche Rahmenvereinbarung. Für seine Tätigkeit stellte der Beigeladene zu 1 der Klägerin monatlich Rechnungen über Beträge in unterschiedlicher Höhe zwischen 202,30 € und 2.380,00 € (insgesamt 6.630,00 € in 2014, 8.525,00 in 2014, 4.325,00 € in 2015, 2.030,00 € in 2016, jeweils zzgl. Umsatzsteuer). Wegen der genauen Beträge wird auf Bl. I, 35/65 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Rechnungen wiesen jeweils in einem Kalendermonat als erbrachte Leistung „Fahrerische Dienstleistung“ mit Angabe u.a. des Datums der Fahrt, die Umsatzsteuer und den Rechnungsbetrag aus. Als Einzelpreis wurde jeweils einer von zwei Pauschalbeträgen angegeben (2013 bis 2015 170,00 €, 2016 180 € oder durchgehend 200,00 €). Die Klägerin verbuchte die Zahlungen im Konto „Fremdarbeiten (Vertrieb)“. Eine Meldung als Beschäftigung erfolgte nicht.

Wenn die Klägerin wegen Urlaubs oder Krankheit eine Tour nicht durch einen ihrer fest angestellten Fahrer durchführen lassen konnte, bot sie diese dem Beigeladenen zu 1 an. Dieser war zur Übernahme des Auftrages nicht verpflichtet und lehnte Aufträge dieser Art w...

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