Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit. Überweisung größerer Geldbeträge an einen Dritten. Sozialwidrigkeit. Romance Scamming
Leitsatz (amtlich)
Zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs bei sozialwidrigem Verhalten gegenüber der Geschädigten eines sog Romance Scamming.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Dezember 2017 sowie der Bescheid des Beklagten vom 25. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Mai 2017 aufgehoben.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist ein Erstattungsanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens für Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.
Die am … 1958 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben eine Ausbildung zur Bürokauffrau abgeschlossen und Fortbildungen zur Hotelfachfrau, Handelsfachwirtin und im Bereich der Datenverarbeitung absolviert. Zuletzt war sie im Jahr 2010 als Empfangskraft und von März 2014 bis März 2015 im Kundenservice eines Mietwäschebetriebs beschäftigt. Am 18.12.2014 meldete sie ein Gewerbe mit dem Gegenstand Vertrieb und Beratung von Nahrungsergänzungsmitteln an. Sie vertreibt auf Provisionsbasis Produkte der A.. Für die von ihr bewohnte 47 m² große Wohnung sind eine Kaltmiete in Höhe von 260,00 €, Nebenkosten in Höhe von 20,00 € zu zahlen.
Am 01.02.2017 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie gab an, im letzten Jahr von Erspartem gelebt zu haben und nun SGB II-Leistungen zu benötigen. Aus den dem Beklagten vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Klägerin von November 2016 bis Januar 2017 einen Gesamtbetrag in Höhe von 24.000,00 € (5.000,00 € am 29.11.2016, 12.000,00 € am 14.12.2016 und 7.000,00 € am 05.01.2017) auf ein Konto eines Herrn B. C. „für D. D. D.“ (im Folgenden M) überwiesen hatte. In den letzten drei Monaten vor Antragstellung fanden außerdem mehrere größere Einzahlungen statt, die nach den Angaben der Klägerin aus der Auflösung anderer Vermögenspositionen stammten (6.000,00 € am 07.11.2016, 3.500,00 € am 23.11.2016, 2.000,00 € am 28.11.2016, 2.000,00 € am 02.12.2016, 4.900,00 € am 13.12.2016, 8.000,00 € am 13.12.2016, 2.000,00 € am 31.12.2016 und 1.500,00 € am 05.01.2017).
Mit Bescheid vom 01.03.2017 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin verfüge über verwertbares Vermögen, das den Freibetrag überschreite, weshalb sie nicht hilfebedürftig sei. Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs und ihres Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Heilbronn (SG, S 15 AS 1154/17 ER) trug sie unter Abgabe einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung vor, keinen Zugriff auf die ins Ausland transferierten Gelder zu haben.
Nachdem er mit Bescheid vom 10.04.2017 den Bescheid vom 01.03.2017 aufgehoben hatte, gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 25.04.2017 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.02.2017 bis 31.07.2017 in Höhe von monatlich 769,35 €. Die vorläufige Bewilligung beruhte auf § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II.
Mit weiterem Bescheid vom 25.04.2017 stellte der Beklagte einen - nicht bezifferten - Ersatzanspruch hinsichtlich der ihr mit Bescheid vom 25.04.2017 bewilligten Leistungen gegenüber der Klägerin fest. Sie habe ihr Einkommen oder Vermögen vermindert, weil sie im Zeitraum von November 2016 bis Januar 2017 einen (Gesamt-)Betrag in Höhe von 24.000,00 € ins Ausland transferiert habe, ohne sich die Rückzahlung dieser Beträge z.B. in Form eines Darlehensvertrags zu sichern. Nach Aktenlage sei in jedem Fall ein „Ersatzanspruch“ nach § 34 SGB II gegeben. Die Klägerin habe die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zumindest grob fahrlässig herbeigeführt und durch ihr Verhalten die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Ihr hätte klar sein müssen, dass sie nach dem Transfer bzw. der Auflösung ihres Vermögens in dem erfolgten Umfang und aufgrund fehlenden regelmäßigen Einkommens Leistungen nach dem SGB II beantragen müsse. Sie sei zum Ersatz der deswegen erbrachten Geldleistungen verpflichtet. Umfang und Höhe der zu ersetzenden Leistungen würden in einem gesonderten Bescheid mitgeteilt.
Zur Begründung ihres hiergegen am 04.05.2017 eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie habe am 07.11.2016 noch über 27.900,00 € verfügt und seit dem 15.12.2015 von ihrem Vermögen gelebt. Sie habe die Zahlungen ins Ausland an Herrn C. B. angewiesen. Bei ihm handle es sich einen Agenten von M. Auf deren Konten habe sie keinen Zugriff. Sie habe M in einer finanziellen Notlage geholfen und ihm das Geld geliehen. Sie erwarte, wie ausgemacht, das geliehene Geld zurück. Ein schriftlicher Darlehensvertrag sei nicht abgeschlossen worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zu...