Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Auskunftsverlangen gegenüber einem potenziell Unterhaltspflichtigen. Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines Unterhaltsanspruchs. Negativevidenz
Leitsatz (amtlich)
Die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens nach § 117 Abs 1 S 1 SGB XII setzt nicht voraus, dass dem Hilfeempfänger der Unterhaltsanspruch tatsächlich und nachweisbar zusteht. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch nach objektivem, materiellen Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, ist ein gleichwohl erlassenes, erkennbar sinnloses Auskunftsersuchen aufzuheben (vorliegend verneint).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 1. April 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zur Erteilung von Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist.
Der am … April 1961 geborene Kläger ist Sohn der am ... Juni 1938 geborenen G. V. (Hilfeempfängerin), die seit 16. Dezember 2014 Leistungen der Hilfe zur Pflege sowie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) durch den Beklagten erhält.
Das Amtsgericht Wolfenbüttel übertrug durch Beschluss vom 24. Oktober 1974 (9 X 347/73) das „Recht zur Ausübung der elterlichen Gewalt“ auf S. M., den Vater des Klägers und geschiedenen Ehemann der Hilfeempfängerin. Das Landgericht Braunschweig wies die Beschwerde der Hilfeempfängerin gegen diese Entscheidung durch Beschluss vom 9. Mai 1975 (8 T 236/75) zurück.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Hilfeempfängerin seit Dezember 2014 Hilfen nach dem Vierten und Siebten Kapitel des SGB XII erhalte, er zu den in §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bezeichneten Personen, die vorbehaltlich ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet seien, Unterhalt zu gewähren, gehöre und gemäß § 94 SGB XII dieser bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen kraft Gesetzes auf den Beklagten als Träger der Sozialhilfe übergehe. Durch Bescheid vom 22. Januar 2015 forderte der Beklagte den Kläger unter Übersendung eines Fragebogens zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nach § 117 SGB XII auf, Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen. Dagegen legte der Kläger am 4. Februar 2015 Widerspruch ein und machte geltend, dass er mit der Hilfeempfängerin mehr als vier Jahrzehnte keinerlei Umgang mehr habe. Ursache seien hierfür gravierende Verfehlungen hinsichtlich der elterlichen Fürsorge. Infolge dieser Verfehlungen, u.a. in Form schwerer körperlicher und seelischer Gewalt gegen ihn über Jahre hinweg, sei er im Alter von zwölf Jahren aus dem Haushalt der Hilfeempfängerin geflohen. Im Zuge des sich anschließenden Prozesses sei der Hilfeempfängerin durch das Amtsgericht Wolfenbüttel das Sorgerecht entzogen worden. Diese Entscheidung sei vom Landgericht Braunschweig nach Einholung eines Gutachtens bestätigt worden. Die Hilfeempfängerin habe sich an den für ihn seit seinem 12. Lebensjahr anfallenden Kosten für Unterhalt und Ausbildung nicht beteiligt. Auf Grund dieser Sachlage halte er - der Kläger - es für nicht zumutbar, wenn eine Unterhaltspflicht für die Hilfeempfängerin geltend gemacht werde.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2015 zurück. Bei Vorliegen der in § 1611 Abs. 1 BGB genannten Tatbestände brauche ein zum Unterhalt Verpflichteter nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, der der Billigkeit entspreche. Die Verpflichtung falle nur dann ganz weg, wenn die Inanspruchnahme grob unbillig wäre. In die Billigkeitsabwägungen seien neben der Schwere der Verfehlung u.a. auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen einzubeziehen. Nur wenn im Einzelfall nach dieser erfolgten Prüfung auch der danach ermittelte Betrag aus besonderen Gründen grob unbillig wäre, könne dieser gänzlich wegfallen. Von grober Unbilligkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur dann auszugehen, wenn die Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde. Neben der Schwere der Verfehlung sei auch maßgeblich, ob die unterhaltspflichtige Person in Verhältnissen lebe, bei denen sie durch Unterhaltsleistungen in spürbarer Weise in ihrer eigenen Lebensführung beeinträchtigt werden würde. Die nach § 117 SGB XII geforderte Auskunftserteilung sei somit notwendig, um über einen möglichen Wegfall der Verpflichtung zur Unterhaltsleistung entscheiden zu können.
Dagegen hat der Kläger am 2. April 2015 Klage zum Sozialgericht Braunschweig erhoben (S 32 SO 46/15), das sich durch Beschluss vom 27. April 2015 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Stuttgart (SG) ver...