Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Auskunftsverlangen gegenüber dem Ehegatten eines potenziell Unterhaltspflichtigen. Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines Unterhaltsanspruchs. Negativevidenz. Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Nichtvorliegen von Ausschlussgründen. unbillige Härte
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens nach § 117 Abs 1 S 1 SGB XII setzt nicht voraus, dass dem Hilfeempfänger der Unterhaltsanspruch tatsächlich und nachweisbar zusteht. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch nach objektivem, materiellen Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, ist ein gleichwohl erlassenes, erkennbar sinnloses Auskunftsersuchen aufzuheben (vorliegend verneint).
2. Ein Auskunftsanspruch nach § 117 Abs 1 S 1 SGB XII besteht nicht, solange die Leistungsfähigkeit bezüglich des möglichen Unterhaltsanspruchs unmissverständlich nicht bestritten wird (vorliegend verneint).
Orientierungssatz
1. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des BGH zum Elternunterhalt (vgl BGH vom 1.10.2014 - XII ZR 133/13 = NJW 2014, 3514, vom 5.2.2014 - XII ZB 25/13 = BGHZ 200, 157 und vom 12.12.2012 - XII ZR 43/11 = BGHZ 196, 21) ist der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht bereits deshalb leistungsunfähig, weil er nicht über eigene Einkünfte verfügt, die seinen angemessenen Selbstbehalt übersteigen.
2. Umstände, die bereits nach bürgerlichem Recht ganz oder teilweise der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs entgegenstehen, kommen nicht als Härtegrund iS des § 94 Abs 3 S 1 SGB 12 in Betracht (vgl LSG Essen vom 26.1.2015 - L 20 SO 12/14 sowie LSG München vom 23.10.2014 - L 8 SO 212/12 und vom 28.1.2014 - L 8 SO 21/12).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 31. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger zur Erteilung von Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist.
Der Kläger ist Schwiegersohn des 1948 geborenen und zwischenzeitlich 2015 verstorbenen J. N. (Hilfeempfänger), der von Januar 2005 bis Juli 2008 sowie ab Juni 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) durch die Stadt V. sowie von Juni 2007 bis Juni 2008 und ab Juni 2011 ambulante Eingliederungshilfeleistungen und von Juli 2008 bis Mai 2011 stationäre Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII durch den Beklagten erhalten hat.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2010 richtete der Beklagte ein Auskunftsersuchen gem. § 117 SGB XII an A. G., eine von 4 Töchtern des Hilfeempfängers aus erster Ehe und Ehefrau des Klägers, um zu prüfen, ob diese aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Unterhalt nach §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegenüber dem Hilfeempfänger leisten müsse. Diese teilte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4. August 2010 mit, dass sie mit dem Kläger verheiratet und als Arzthelferin tätig sei. Sie legte verschiedene Verdienstbescheinigungen vor. Mit Schreiben vom 12. August 2010 teilte der Beklagte der A. G. mit, dass sie nur über ein geringes eigenes Einkommen verfüge und ansonsten von ihrem Ehemann - dem Kläger - unterhalten werde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2003 - XII ZR 224/00 - und Urteil vom 14. Januar 2004 - XII ZR 69/01 -) könne sich eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Elternteil auch ergeben, wenn das unterhaltspflichtige Kind lediglich Einkommen unter dem unterhaltsrechtlichen Mindestbedarf von 1.400 Euro erziele. Voraussetzung dafür sei, dass der eigene angemessene Unterhaltsbedarf ganz oder teilweise durch den Familienunterhalt gedeckt sei. Mithin sei auch das Einkommen des anderen Ehegatten zu berücksichtigen. Um prüfen zu können, ob ihr eigener angemessener Unterhaltsbedarf durch den Familienunterhalt bereits gedeckt sei, bat er um Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. August 2010 teilte A. G. mit, dass der Kläger nicht bereit sei, Auskunft über seine Einkünfte zu erteilen. Daraufhin richtete der Beklagte mit Schreiben vom 6. Oktober 2010 ein Auskunftsersuchen nach § 117 SGB XII an den Kläger und bat um Auskunft über dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
Nachdem der Kläger eine Auskunft abgelehnt hatte, verlangte der Beklagte mit Bescheid vom 5. August 2011 von diesem Auskunft über dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und drohte für den Fall, dass die erbetenen Auskünfte nicht oder nicht vollständig erteilt werden, ein Zwangsgeld in Höhe von 250 Euro an und ordnete die sofortige Vollziehung des Auskunftsersuchen nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein (Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 19. August 2011) und teilte mit, sein Einkommen sei so, dass der Unterhalt seiner Ehefrau hiervon gedeckt wer...