Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Zweipersonenhaushalt in Baden-Württemberg. schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers. gerichtliche Überprüfung. Repräsentativität und Validität der Datenerhebung. Anforderungen an die Erhebung von Angebotsmieten
Leitsatz (amtlich)
1. Da die gerichtliche Überprüfung eines Konzepts zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze der durch den Grundsicherungsträger übernahmefähigen Unterkunftskosten als nachvollziehende Kontrolle ausgestaltet ist, bedarf es einer ins Einzelne gehenden Überprüfung von Detailfragen der Repräsentativität und Validität der dem Konzept zugrundeliegenden Daten erst, wenn fundierte Einwände erhoben werden, die über ein Bestreiten der Stimmigkeit bestimmter Daten hinausgehen (Anschluss an BSG vom 17.9.2020 - B 4 AS 22/20 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 111, juris RdNr 30).
2. Wenn der Angebotswohnungsmarkt größer ist als die Anzahl der durch Auswertung von Vermietungsanzeigen ermittelten Angebotsmieten, weil nicht alle verfügbaren Wohnungen durch Anzeigen vermarktet werden, lässt sich die ausreichende Verfügbarkeit des innerhalb der Angemessenheitsgrenze liegenden freien Wohnraums nicht durch eine Gegenüberstellung der im Vergleichsraum lebenden Bedarfsgemeinschaften mit oberhalb der Angemessenheitsgrenze liegenden Unterkunftskosten und der Anzahl der zur Angemessenheitsgrenze verfügbaren Angebotsmieten ermitteln.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.02.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind weder im Klage- noch im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten stehen höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 31.08.2017 in Streit.
1. Im Auftrag des Beklagten erstellte die Immobilienberatungsgesellschaft A. & K. GmbH (im Folgenden: A & K) eine empirische Auswertung zur übernahmefähigen Bruttokaltmiete für die Stadt H. für SGB II-Leistungsberechtigte (Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft - Methodenbericht 2016). Hierzu führte A & K eine stichprobenbasierte Mietwerterhebung durch, die über den gesamten Vergleichsraum sowohl Bestands-, als auch Neuvertrags- und Angebotsmieten umfasste. Für die Bestands- und Neuvertragsmieten führte A & K eine Befragung von 15.000 zufällig ausgewählten Mietern im Vergleichsraum durch. Durch Filterfragen wurden Mieten herausgefiltert, die mit persönlichen Beziehungen oder weiteren Leistungen gekoppelt waren, wie Wohnungen mit Freundschaftsmieten, mietpreisreduzierte Werkswohnungen, Wohnungen in Wohn- oder Pflegeheimen, gewerblich oder teilgewerblich genutzte Wohnungen, möblierte Wohnungen und Ferienwohnungen. Ebenfalls herausgefiltert wurden Wohnungen untersten Standards. Der durch die Mieterbefragung ermittelte Datensatz wurde durch Mieten des SGB II-Datensatzes des Jobcenters ergänzt. Hierdurch konnten 2.763 Mietwerte erhoben werden, von denen 1.265 verwendet werden konnten. Sämtliche Mietdaten wurden auf den einheitlichen Begriff der Netto-Kaltmiete pro Quadratmeter umgerechnet und sodann den jeweiligen Wohnungsgrößenklassen zugeordnet. Für jedes so ermittelte Tabellenfeld wurde anschließend eine Extremwertkappung vorgenommen, bei dem alle Mietwerte aussortiert wurden, die außerhalb des Bereichs um den Mittelwert herum lagen, der durch die um den Faktor 1,96 multiplizierte Standardabweichung definiert war. Nach Durchführung der Extremwertkappung standen für die Auswertung insgesamt 1.201 Bestandsmieten zur Verfügung. Neben den Bestandsmieten wurden Angebotsmieten über den Zeitraum von November 2015 bis April 2016 erfasst. Ausgewertet wurden insbesondere drei Internet-Immobiliensuchportale und die örtliche Tagespresse. Die erfassten Mietdaten wurden ebenfalls in den einheitlichen Begriff der Nettokaltmiete pro Quadratmeter umgerechnet. Nach Dublettenbereinigung und Extremwertkappung verblieben von den erhobenen 316 Angebotsmieten 301 verwertbare Werte. Zur Ableitung der Angemessenheitsgrenze wurde in einem weiteren Schritt das Nachfragevolumen nach preiswertem Wohnraum ermittelt, wozu der Anteil an Haushalten mit Bedarfsgemeinschaften, Wohngeldempfängern, Geringverdienern ohne Leistungsbezug und Asylbewerberleistungsempfängern an den Gesamthaushalten errechnet wurde. Hiernach ergab sich im unteren Marktsegment ein Nachfragevolumen für Ein-Personen-Haushalte von 22 %, für Zwei-Personen-Haushalte von 11 %, für Drei-Personen-Haushalte von 14 %, für Vier-Personen-Haushalte von 14 % und für Fünf-Personen-Haushalte und mehr von 23%. Auf Grundlage der Bestandsmieten und des Nachfragevolumens im unteren Marktsegment wurde ein Perzentil definiert, das als theoretische Untergrenze der Versorgung von Bedarfsgemeinschaften mit Wohnraum angesehen wurde. In Anwendung der für Zwei-Personen-Haushalte auf das 40. Perzentil festgelegten Perzentilgrenze...