Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegezulage. hauswirtschaftlicher Hilfebedarf

 

Orientierungssatz

Bei der Beurteilung der Hilflosigkeit iS von § 35 Abs 1 BVG muß hauswirtschaftlicher Hilfebedarf unberücksichtigt bleiben (vgl BSG vom 2.7.1997 - 9 RV 19/95).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.12.1997; Aktenzeichen 9 BV 122/97)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrte eine Pflegezulage nach § 35 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1922 geborene Kläger leistete von 1940 bis 1945 Kriegsdienst in der Deutschen Wehrmacht. Als Schädigungsfolgen einer Kriegsverwundung im Jahre 1943 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. anerkannte das Versorgungsamt Ravensburg mit Ausführungsbescheid vom 19. Oktober 1983: "Verlust des re. Auges, chronische Mittelohrschleimhauteiterung rechts bei großer Trommelfellperforation rechts und narbigen Trommelfellveränderungen links. Hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit rechts, leicht- bis mittelgradige kombinierte Schwerhörigkeit links. Speichennervenlähmung und distale Mittel- und Ellennervenschädigung rechts. Distale Ellennervenschädigung links. Zahlreiche kleine Granatsplitterchen in den vorderen rechten oberen und linken unteren Halsweichteilen, in den linksseitigen Schulterweichteilen, in den Ober- und Unterarmweichteilen rechts und links und in der rechten Hand. Mittelnervenschädigung links, leichte Mundwinkelschwäche rechts als Zustand nach leichter Facialisparese nach Ohrenoperation".

Im März 1994 beantragte der Kläger die Gewährung von Pflegezulage. Infolge der Schädigung an seinen Händen könne er sich nach Verrichten der Notdurft nicht selbst reinigen. Auch für andere regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen des täglichen Lebens (etwa Fingernägelschneiden, An- und Ausziehen, Kämmen) müsse er -- bedingt durch die Schädigungsfolgen -- teilweise fremde Hilfe in Anspruch nehmen.

Hierauf veranlaßte der Beklagte die ärztliche Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch Dr. S vom Ärztlichen Dienst des Versorgungsamtes R Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 23. Januar 1995 zu der Beurteilung, daß beim Kläger Fremdhilfebedarf nur bei der Reinigung des Afters nach der Defäkation bestehe. Die Fingerfunktionen der linken Hand dürften für die Durchführung einer exakten Reinigung nicht mehr geeignet sein und die rechte Hand sei derart kraftarm, daß ein Einsatz für diese Tätigkeit nicht möglich erscheine. Auf allen Gebieten, die sonst zur Gewährung einer Pflegezulage zu beurteilen seien, sei der Kläger völlig selbständig. So könne er sich selbständig recht zügig an- und ausziehen und dabei sogar kleine Hemdknöpfe gut öffnen und schließen sowie Reißverschlüsse auf- und zumachen.

Daraufhin lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage mit Bescheid vom 16. Februar 1995 ab. Nach dem ärztlichen Gutachten bestehe Fremdhilfebedarf nur beim Reinigen nach der Defäkation. Diese Einschränkung reiche für die Bewilligung der Pflegezulage nicht aus.

Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 1995) hat der Kläger am 4. August 1995 Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben. Zur Begründung hat er noch ausgeführt, daß er den Eintritt der Notdurft nicht planen könne, weshalb eine Fremdhilfe rund um die Uhr bereitstehen müsse. Im Bereich der Körperpflege seien für ihn viele Verrichtungen unmöglich (etwa Naßrasieren, Haare in Nase und Ohren schneiden, Putzen der Zahnprothese). Auf dem Gebiet der Ernährung sei ihm die mundgerechte Zubereitung der Nahrung nicht möglich. Schließlich seien hauswirtschaftliche Verrichtungen für ihn nahezu unmöglich, er könne weder Speisen zubereiten noch seine Wäsche und Kleidung waschen und pflegen. Infolge seines Diabetes müsse bei ihm täglich der Blutzucker gemessen werden. Dies sei ihm (schädigungsbedingt) ebensowenig möglich wie das Wechseln der Batterien seiner Hörgeräte.

Das SG hat die vom Kläger benannten Ärzte Dr. G (Arzt für innere Medizin) und M (Arzt für Allgemeinmedizin) als sachverständige Zeugen angehört. Dr. G führte mit Schreiben vom 15. März 1996 aus, er habe den Kläger in der Zeit von September 1994 bis März 1996 insgesamt fünfmal nur wegen der Folgen eines Diabetes mellitus behandelt. Er sei deshalb nicht in der Lage, die vom SG gestellten Fragen zu beantworten. Der Allgemeinmediziner M gab gegenüber dem Gericht an, er habe den Kläger sporadisch in den Jahren 1983 bis 1986 behandelt. Unter Zugrundelegung seiner Krankenunterlagen ziehe er aus dem ihm vorliegenden Gutachten des Ärztlichen Dienstes des Versorgungsamtes R keine anderen Schlüsse. Im Bereich der Körperpflege bedürfe der Kläger ständiger Hilfe bei der Reinigung nach der Notdurft sowie bei der Nagelpflege. Naßrasieren sei ihm ebenfalls nicht möglich. Häufig Hilfe bedürfe der Kläger beim mundgerechten Zubereiten von Speisen sowie bei Haushaltsarbeiten. Gelegentliche Hilfe sei beim Anlegen orthopädischer Hilfsmittel z.B. beim Batteriewechsel des Hörgerätes erforderlich. Für alle übrigen Verrichtungen sehe er beim Kläger kei...

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