Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. sachliche Zuständigkeit. Baden-Württemberg. Zuständigkeit des örtlichen Sozialhilfeträgers. örtliche Zuständigkeit. stationäre Unterbringung. Unterbrechung. Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts. Zuständigkeit des dortigen Sozialhilfeträgers. Ausschlussfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Anforderungen an einen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs 3 S 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I).

2. Der Sozialhilfeträger muss sich die Kenntnis seines Rechtsvorgängers über die Leistungspflicht gem § 105 Abs 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurechnen lassen.

3. Zur Ausschlussfrist nach § 111 S 1 SGB X.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung von Sozialhilfeleistungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 für den Hilfeempfänger G. (im Folgenden G.) in Höhe von 53.590,79 €.

Der 1967 geborene G. wurde am 20. Oktober 1999 in einer stationären Einrichtung, dem Rudolf-Sophien-Stift (RSS) in Stuttgart aufgenommen. G. hatte vor seiner Aufnahme in das RRS seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt bei seinen Eltern in A. (Landkreis B.).

G. erhielt ab der Aufnahme in das RRS vom damals zuständigen Sozialhilfeträger, dem Landeswohlfahrtsverband (LWV) Württemberg-Hohenzollern, Leistungen der Eingliederungshilfe (Bescheid vom 13. Dezember 1999).

Am 17. Dezember 2002 hatte G. die Einrichtung verlassen und war in eine von ihm angemietete Wohnung in C. (Landkreis D.) verzogen. Kurze Zeit darauf, am 18. Dezember 2002 bzw. 20. Dezember 2002 wurde er wieder in die Einrichtung aufgenommen (Auskunft des RRS vom 27. März 2009 - Bl. 13 Verwaltungsakte Beklagte).

Seit dem 1. Januar 2005 ist aufgrund der Verwaltungsreform anstelle des LWV der jeweilige örtliche Sozialhilfeträger zuständig. Seit dem 1. Januar 2005 erhält G. die Leistungen der Eingliederungshilfe vom Kläger.

Mit Bescheid vom 10. Mai 2005 hatte der Kläger entschieden: Die Kosten der Sozialhilfe für die Sozialhilfe nach den §§ 53 und 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) sowie die Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nach § 35 SGB XII würden für G. ab dem 1. Januar 2005 für das RSS vorbehaltlich der Vermögensprüfung übernommen. Die bewilligten Leistungen würden den Vergütungssatz für das Wohnen, den Barbetrag in Höhe von 90,00 €, den Tagessatz für die Werkstatt für behinderte Menschen sowie die Sozialversicherung Behinderter umfassen. Weiter ist darin ausgeführt, dass ein Unterhaltsanspruch des G. in Höhe von 26,00 € auf den Kläger übergehe. Ebenso werde der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente ab dem 1. Januar 2005 in Anspruch genommen.

Im März 2009 forderte der Kläger den Beklagten zur Übernahme des Falles auf, da G. in C. (Landkreis D.) am 17. Dezember 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe. Gleichzeitig beantragte der Kläger die Kostenerstattung für die ab dem 1. Januar 2005 erbrachten Sozialhilfeleistungen für G.

Der Beklagte lehnte eine Übernahme der Kosten ab, da seiner Auffassung nach G. am 17. Dezember 2002 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in C. begründet habe.

Am 28. Dezember 2010 hat daraufhin der Kläger die Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung geltend gemacht, G. habe im Dezember 2002 einen gewöhnlichen Aufenthalt in seiner gemieteten Wohnung begründet. Daher sei der Beklagte zur Leistungserbringung zuständig und erstattungspflichtig. Auf mangelnde Kenntnis vom seiner Eintrittspflicht könne sich der Beklagte nicht berufen, nachdem er als Rechtsnachfolger des LWV das Sozialhilferechtsverhältnis übernommen habe.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgetragen, G. sei gar nicht in der Lage gewesen, einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Dieser sei überraschenderweise am 17. Dezember 2002 auf eigenen Wunsch in eine, von Freunden vermittelte Wohnung in C. gezogen. Zuvor habe er mit Schreiben vom 25. August 2002 um finanzielle Unterstützung gebeten, nachdem er der Meinung gewesen sei, nicht genügend finanzielle Reserven für die Beauftragung eines Maklers zu haben. Aufgrund der gesundheitlichen Verfassung sei von der damaligen Einrichtung der Auszug nicht gutgeheißen worden. Er habe jedoch nicht verhindert werden können. Aufgrund sofortiger Panikattacken sei er am 18. Dezember 2002 unverzüglich wieder in die Einrichtung zurückgekehrt. Ein Angebot des RRS, in die Wohnung zurückzukehren und dort betreut zu werden, habe G. abgelehnt.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2013 hat das SG der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger für G. in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 erbrachte Sozialhilfeleistungen in Höhe von 53.590,79 € zu erstatten. Das SG hat hi...

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