Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Notwendigkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung. (schwer chronifizierte) psychiatrische Erkrankung. Erforderlichkeit des Einsatzes besonderer Mittel des Krankenhauses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Krankenhausbehandlungsbedürftig ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht (BSG vom 17.11.2015 - B 1 KR 18/15 R = BSGE 120, 78 = SozR 4-2500 § 39 Nr 24, RdNr 11).

2. Bei einer psychiatrischen Erkrankung kann der Einsatz von krankenhausspezifischen Geräten ganz in den Hintergrund treten und allein der Einsatz von Ärzten, therapeutischen Hilfskräften und Pflegepersonal sowie die Art der Medikation die stationäre Behandlung kennzeichnen.

3. Auch bei einer schweren chronifizierten psychiatrischen Erkrankung kann nicht von vornherein von einer fehlenden medizinisch-ärztlichen Beeinflussbarkeit ausgegangen werden.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 09.03.2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 55.695,61 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung im Zeitraum vom 20.03.2018 bis 29.08.2018.

Die Klägerin ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Gesetz zur Errichtung der Zentren für Psychiatrie Baden-Württemberg vom 03.07.1995 (GBl. S. 510) eine Anstalt öffentlichen Rechts und betreibt ein psychiatrisches Krankenhaus, das durch Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg nach § 108 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen ist.

Der bei der Beklagten versicherte, 1982 geborene H1 (im Folgenden Versicherter) leidet seit dem Jahr 2000 an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20.0). Seit 2011 besteht eine Erwerbsminderung, seit 2012 steht er unter gesetzlicher Betreuung. Seit Oktober 2013 wohnt der Versicherte außerhalb des elterlichen Hauses mit professioneller Betreuung im S1 in G1, einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen. Nach bereits zuvor erfolgter gerichtlich angeordneter Unterbringung beschloss das Amtsgericht B2 - Betreuungsgericht - am 07.07.2017 (Bl. 846 der Patientenakte) erneut die Unterbringung des Versicherten in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer geschlossenen Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 07.07.2019. Seit dem 01.08.2017 ist beim Versicherten der Pflegegrad 1, seit dem 01.06.2018 der Pflegegrad 2 anerkannt (vgl. Pflegegutachten vom 28.11.2018, Bl. 17 ff. der SG-Akte). Mit Bescheid vom 02.05.2018 stellte die Stadt K1, Sozialamt, die Leistungen der Eingliederungshilfe an den Versicherten sowie die Grundsicherung in Einrichtungen mit Ablauf des 19.03.2018 sowie die Hilfe zum Lebensunterhalt zum 30.04.2018 ein (Bl. 815 der Patientenakte).

Seit dem 17.03.2014 wurde der Versicherte - nach einem Suizidversuch im Rahmen einer Wochenendbeurlaubung, bei welchem er die vierfache Tagesdosis seiner Medikamente einnahm - mit nur kurzen Unterbrechungen - vollstationär im Krankenhaus der Klägerin behandelt (17.03.2014 bis 20.08.2015, 21.08.2015 bis 01.10.2015, 01.10.2015 bis 31.12.2016, 01.01.2017 bis 01.02.2017, 08.02.2017 bis 27.02.2017, 28.02.2017 bis 25.07.2017, 26.07.2017 bis 23.09.2017, 26.09.2017 bis 20.03.2018 und 20.03.2018 bis 29.08.2018 [… mit Unterbrechungen bis 29.12.2020]). Ein Entlassungsversuch in einen geschlossenen Heimbereich am 01.02.2017 scheiterte bereits am 08.02.2017 aufgrund der fortbestehenden komplexen, floriden Psychose mit Störung der Impulskontrolle und Steuerungsfähigkeit sowie konsekutiver Eigen- und Fremdgefährdung (Zwischenepikritische Zusammenfassung der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik II vom 30.10.2019, Bl. 77 ff. der Senatsakte). Wegen dieser Behandlungen kam es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin und der Beklagten (im Berufungsverfahren L 11 KR 1164/20 war der Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.12.2016 streitig [Erledigung durch Vergleich]; im Berufungsverfahren L 4 KR 599/21 ist der Zeitraum vom 15.09.2017 bis 23.09.2017 streitig; im Klageverfahren S 4 KR 623/21 ist der Zeitraum vom 04.09.2018 bis 24.07.2019 streitig; im Klageverfahren S 13 KR 2435/22 ist der Zeitraum vom 02.01.2020 bis 29.12.2020 streitig).

Der Versicherte wurde im Zeitraum vom 26.09.2017 bis 29.08.2018 erneut in der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik II des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in W1 der Klägerin vollstationär behandelt. Dem Arztbrief der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik II vom 16.05.2019 (Bl. 83 ff. der Senatsakte) sind hierzu folgende Diagnosen zu entnehmen: Paranoide Schizophrenie (F20.0), Hypoosmolalität und Hyponatriämie (E87.1), Polydipsie (R63.1), Folsäuremangel (E53.8) und essentielle Hypertonie benigne ohne An...

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