Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall gem § 8 Abs 2 Nr 1, Nr 2 Buchst a SGB 7. Abweg. entgegengesetzte Richtung. sachlicher Zusammenhang. eigenwirtschaftlicher Grund. betrieblicher Grund. Berufstätigkeit. in fremde Obhut anvertrauen. allgemeine Sicherheitserwägung. elterliche Sorge. Schulweg. Begleitung des Kindes zu einem Sammelpunkt einer Kinderlaufgruppe
Leitsatz (amtlich)
1. Ein unversicherter Abweg liegt vor, wenn der unmittelbare Arbeitsweg zu eigenwirtschaftlichen Zwecken verlassen wird und zum Unfallzeitpunkt noch nicht wieder erreicht worden ist.
2. Ein Wegeunfallversicherungsschutz nach der Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VII setzt einen inneren Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Versicherten voraus.
3. Daran und an dem weiteren Merkmal "in fremde Obhut anvertrauen“ fehlt es, wenn ein Kind aus allgemeinen Sicherheitserwägungen auf einem Teil des Schulwegs zu einem Sammelpunkt einer Kindergruppe begleitet wird.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.06.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung des Ereignisses vom 23.01.2019 als Arbeitsunfall.
Die 1968 geborene Klägerin, gesetzlich pflichtkrankenversichert, ist seit Januar 2000 bei der B1 S1 (A2), als technische Beraterin und Fachkraft für Arbeitssicherheit beschäftigt, zum Zeitpunkt des angeschuldigten Ereignisses in einem Umfang von 7,2 Stunden an fünf Tagen pro Woche (S. 83 f. VerwA). Ihre Arbeitsstätte liegt im (inneren) Stadtbezirk „Nord“ der Landeshauptstadt in fußläufiger Nähe der Stadtbahnhaltestelle „P1“, die von der Stadtbahnlinie „U“ (Streckenabschnitt M1 v.v.) angefahren wird. Die Klägerin wohnt mit ihrer - am Ereignistag zehn Jahre alten - Tochter, die sie allein erzieht, im nordöstlich gelegenen (äußeren) Stadtbezirk „M2“, ca. 10 km Verkehrsweg von der A2 entfernt, an der nördlichen Seite der in West-/Ost-Richtung verlaufenden M3-straße, einer Hauptverkehrsstraße. Nur wenige hundert Meter vom (Mehrfamilien-)Wohnhaus der Klägerin entfernt in westlicher Richtung liegt - ebenfalls auf der nördlichen Seite der M3-straße - die Stadtbahnhaltestelle „F1“ der Linie „U“ des o.g. Streckenabschnitts, der parallel zur M3-straße in Ost-West-Richtung v.v. verläuft. Entlang dieser Stadtbahnstrecke zwischen der Haltestelle und dem östlich gelegenen (Mehrfamilien-) Wohnhaus der Klägerin führt ein asphaltierter Gehweg nördlich der M3 -straße, der direkt zur Haltestelle führt; in östlicher Richtung vom Wohnhaus aus liegt in etwas kürzerer fußläufiger Entfernung die weitere (End-)Haltestelle der Linie „U“ („M3“), diese auf der südlichen Seite der M3-straße, die zum Erreichen also überquert werden muss.
Für den Weg von und zur Arbeitsstätte nahm die Klägerin bis zum Ereignistag ihren Angaben gemäß (S. 69, 87 ff. VerwA) gewöhnlich die Stadtbahn der Linie „U“ und zwar stadteinwärts von der Haltestelle „F1“ aus (S. 738 VerwA), die westlich vom (Mehrfamilien-)Wohnhaus der Klägerin liegt. Dem lag - bis zum Ereignis - Folgendes zugrunde: An jedem Arbeitstag verbrachte die Klägerin „auf dem Weg zur Arbeit“ ihre Tochter, die die vierte Grundschulklasse besuchte, zunächst zu Fuß zu einem Treffpunkt vor dem Wohnhaus ihrer (der Tochter) Klassenkameradin im M4-weg („Sammelpunkt“; südlich der klägerischen Wohnung gelegen), wo sich mehrere Mitschülerinnen und Mitschüler trafen, um den weiteren Schulweg zur M5 (diese liegt rund 1 km östlich des „Sammelpunkts“, von der klägerischen Wohnung aus südöstlich jenseits der M3-straße) gemeinsam zurückzulegen („Laufgruppe“ der Kinder). Zum M4-weg musste die Klägerin mit ihrer Tochter in unmittelbarer Nähe zu ihrer Wohnung die M3-straße (und damit auch die dort entlangführende Stadtbahngleisstrecke der Linie „U“) in südlicher Richtung in die H1-straße, die rechtwinklig zur M3-straße verläuft, überqueren; der M4-weg schließt sich dann weiter südlich (von der M3-straße aus) als Seitenstraße an die H1-straße an. Nachdem die Klägerin dort ihre Tochter an die Laufgruppe „übergeben“ hatte, ging sie (wie gewöhnlich) den gekommenen Weg wieder etwas zurück und bog sodann in den F2-weg, eine Parallelstraße zur M3-straße anschließend an die H1-straße, in Richtung Westen ein und durchging diesen bis zur Ecke A1-Straße, die - wie die H1-straße - rechtwinklig zur M3-straße verläuft. Auf der A1-Straße ging die Klägerin dann Richtung Norden bis zur Einmündung M3-straße (südliche Seite der Straße); auf der gegenüberliegenden (nördlichen Seite) der M3-straße liegt die o.g. Stadtbahnhaltestelle „F1“ (Fahrtrichtung der Stadtbahnlinie „U“ stadteinwärts nach Westen entlang der M3-straße). Hinsichtlich der örtlichen Gegebenheiten wird ergänzend auf die von der Klägerin unter dem 10.02.2019 gefertigte Skizze (S. 92 VerwA) sowie auf die polizeilichen Skizzen (S. 638 f. VerwA) und die Lichtbildmappe vom Unfallort (S. 66...