Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Abweg. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Vorbereitungshandlung. Tanken des Motorrads. keine außergewöhnlichen Umstände. Mitbenutzung durch Angehörigen
Leitsatz (amtlich)
1. Das Auftanken eines Motorrads ist als rein privatwirtschaftliche Vorbereitungshandlung für die Zurücklegung des Weges zur versicherten Tätigkeit grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (hier: Verkehrsunfall auf einem Abweg in entgegengesetzter Richtung zur Arbeitsstätte), (Anschluss an BSG 30.1.2020 - B 2 U 9/18 R = BSGE 130, 17-25 = SozR 4-2700 § 8 Nr 72).
2. Es kann offenbleiben, ob "außergewöhnliche Umstände" ausnahmsweise dennoch die Einbeziehung des Auftankens in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen könnten (Anschluss an BSG aaO Rn 20).
3. Denn jedenfalls ist der Umstand, dass ein Versicherter sein Fahrzeug einem im Haushalt lebenden Familienangehörigen (stillschweigend) zur (Mit-)Nutzung überlässt und dieser es am Vorabend der versicherten Tätigkeit "leerfährt", nicht mit einem "Benzindiebstahl" iS eines "außergewöhnlichen Umstands" (Ls 2) vergleichbar.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29.10.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das angeschuldigte Ereignis vom 05.03.2021 ein Arbeitsunfall ist.
Die 2003 geborene Klägerin, gesetzlich krankenpflichtversichert, war seit Mitte August 2019 als Auszubildende für den Beruf einer Fachkraft für Lagerlogistik bei der Firma T1 AG, Werk W1, in R1, D1 Str., mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. S. 64 VerwA) beschäftigt (regelmäßiger Arbeitsbeginn um 06.15 Uhr, S. 64 VerwA). Ausweislich ihrer Angaben fuhr sie am frühen Morgen des 05.03.2021 mit ihrem Motorrad von der elterlichen Wohnung im B1-weg in D2 (am nördlichen Stadtrand) in Richtung der ortseinwärts, ca. 1,4 km von der Wohnung entfernten, südwestlich an der H1-straße (Nr.) gelegenen Aral-Tankstelle, um dort ihr Motorrad noch vor Arbeitsbeginn zu betanken (vgl. S. 3, 34, 37 VerwA). Für den Weg von und zur Ausbildungsstätte (ca. 18 km Entfernung zur Wohnung) nahm die Klägerin ihren Angaben gemäß (vgl. a.a.O. und die Google Maps Routenkarte S. 43 VerwA) gewöhnlich den unmittelbaren Weg, der von der Wohnung über die genannte H1-straße ortsauswärts nach Nordosten führt, also in entgegengesetzter Richtung, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.
Gegen ca. 05.50 Uhr (Verlassen der Wohnung ca. 05.45 Uhr) zwang ein von rechts (Einmündung P1-str.) kommender Pkw die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt auf der vorfahrtsberechtigten H1-straße (die Lichtzeichenwechselanlage war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Betrieb) Richtung Süden fuhr - nur wenige hundert Meter von der Tankstelle entfernt -, zu einem Ausweichmanöver, ohne dass es zu einer Kollision kam. Die Klägerin stürzte dabei mit ihrem Motorrad und fiel auf das rechte Bein (vgl. Unfallangaben S. 3, 34, 64 VerwA). Sie wurde mittels Rettungswagen in die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Klinikums M1, Klinik R2, verbracht. Der Leitende (D-)Arzt M2 diagnostizierte erstbefundlich eine Knie- und Unterschenkelprellung rechts (Schmerzen und oberflächliche Kratzeffekte am rechten proximalen Unterschenkel prätibial, Knie schmerzhaft ohne Erguss, im Übrigen unauffälliger Befund) und wies darauf hin, dass ein Arbeitsunfall nicht vorliegen dürfte („kein direkter Weg zum Arbeitsplatz nach W1 am R3“). In der Folge ergab sich bildgebend im Bereich des rechten Kniegelenks ein postkontusionelles Knochenmarködem („bone bruise“) am lateralen Femurcondylus bzw. Tibiaplateau mit Reizerguss im Gelenk und Peritendinitis der Pes anserinus bzw. Weichteilödem der medialen Gelenkkapsel ohne Verletzung der Menisken oder Bänder (s. D-Arztbericht des O1 vom 12.03.2021, S. 5 f. VerwA und MRT-Bericht vom 09.03.2021, S. 75 VerwA); Arbeitsunfähigkeit wurde von O1 bis voraussichtlich 18.04.2021 bescheinigt.
Mit Bescheid vom 25.03.2021 (S. 44 f. VerwA) verlautbarte die Beklagte, dass kein Arbeitsunfall vorliege, dass Kosten für die medizinische Behandlung nicht (mehr) übernommen würden und dass ein Anspruch auf Verletztengeld nicht bestehe. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem von der Klägerin am Morgen des 05.03.2021 zurückgelegten Weg zur Tankstelle zwecks Tanken in entgegengesetzter Richtung zum unmittelbaren Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte um einen unversicherten Abweg handele; das Aufsuchen der Tankstelle sei dem privaten, eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen. Deshalb liege schon kein Versicherungsfall in Gestalt eines Arbeitsunfalls vor.
Mit ihrem Widerspruch, allein und ausdrücklich gerichtet auf die Anerkennung des angeschuldigten Ereignisses als Arbeitsunfall, machte die Klägerin geltend, dass das Betank...